AfD bald unter Beobachtung?
Politik und Wissenschaft diskutieren, ob der Verfassungsschutz aktiv werden sollte
Die Alternative für Deutschland (AfD) ist auf dem Weg nach ganz Rechtsaußen. Der Extremismusforscher Hajo Funke warnt: »Wir erleben eine bedrohliche Gewaltwelle. Wenn dieser Entwicklung nicht entschieden begegnet wird, wird es gefährlich für die Republik«, sagte Funke der »Nordwest-Zeitung« vom Montag. Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry mache Stimmung gegen Flüchtlinge, um innerparteilich gegen Scharfmacher zu punkten. »Wir erleben hier eine unverantwortliche Eskalation«, so Funke. Die AfD-Chefin hatte am Wochenende gefordert, man müsse bei illegalen Grenzübertritten durch Flüchtlinge »notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen«. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verglich die Aussage Petrys mit dem »DDR-Schießbefehl«. Aber der Vergleich hinkt. Das Grenzgesetz der DDR legte unter Paragraf 27 fest, dass die Schusswaffe nicht anzuwenden war, wenn »die Personen dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter sind«. Auch gegen Jugendliche und »weibliche Personen« sollte die Waffe »nach Möglichkeit« nicht zum Einsatz kommen. Die AfD geht da weiter. Vize-Chefin Beatrix von Storch hatte auf ihrer Facebook-Seite am Wochenende die Möglichkeit bejaht, Waffen auch gegen Kinder und Frauen einzusetzen. Später relativierte sie ihre Aussage: Bei Flüchtlingskindern sei der Schusswaffengebrauch nicht zulässig, bei Frauen aber schon.
Der stellvertretende AfD-Vorsitzende Alexander Gauland distanzierte sich am Montag von den Äußerungen der beiden. »Gezieltes Schießen auf Menschen kommt für die AfD nicht in Frage«, sagte Gauland, der als innerparteilicher Konkurrent von Petry gilt.
Sowohl Storch als auch Petry beriefen sich auf die geltende Gesetzeslage, etwa den Paragrafen 11 des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG). Demnach dürfen Grenzpolizisten schießen, wenn sich Personen »der wiederholten Weisung, zu halten (…), durch die Flucht zu entziehen versuchen«. Die rechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Halina Wawzaniak, macht deutlich, dass das »bei Geflüchteten, die in das Land hinein wollen, nicht der Fall« sei. Die Betroffenen »wollen sich nichts entziehen, sie wollen in das Land hinein.«
Wawzyniak, selbst Anwältin, verweist zudem auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1993, wonach der Schusswaffengebrauch an der Grenze auf Fälle beschränkt werden sollte, »in denen von demjenigen, auf den geschossen wird, eine Gefährdung von Leib oder Leben anderer zu befürchten ist«. Bereits 1989 hatten die Bundesrichter festgestellt, dass »nicht ohne weiteres auf sich der Kontrolle entziehende Personen geschossen werden« dürfe. Die gesetzliche Grundlage für die behördlichen Schüsse auf Flüchtlinge ist also äußerst dünn.
Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) nahm die Äußerungen zum Anlass, eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz zu fordern. Eine nicht ganz abwegige Forderung, schließlich wird die LINKE in Bundesländern wie Bayern oder Hessen auch vom Geheimdienst überwacht. Doch gerade von der Linkspartei kam am Montag Widerspruch: »Das ist so ein typischer Gabriel-Aktionismus«, sagte Bundestagsfraktionsvize Jan Korte dem »nd«. Es sei zudem der völlig falsche Ansatz, die Partei durch den Geheimdienst beobachten zu lassen. »Wir müssen uns politisch mit der AfD auseinandersetzen«, unterstrich Korte im »nd«-Gespräch.
Auch aus der Union kamen am Montag ablehnende Stimmen. CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach stellte in der »Welt« klar: »Wer zum Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes wird, entscheidet das Bundesamt für Verfassungsschutz in eigener Zuständigkeit.« Mit Agenturen
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