nd-aktuell.de / 02.02.2016 / Politik

EU reißt sich ein Bein aus, um Brexit zu verhindern

Reformvorschläge sollen London in der EU halten / Briten geht Vorschlag zur Kürzung von Sozialleistungen für EU-Bürger nicht weit genug

Um Großbritanniens Austritt aus der EU zu verhindern, legte EU-Gipfelchef Donald Tusk ein Reformpaket vor. Eine im Paket enthaltene »Notbremse« ermöglicht es, Sozialleistungen für zugewanderte EU-Bürger zu beschränken.

London/Brüssel. Mit den Vorschlägen zur EU-Reform geht die Gemeinschaft ein gutes Stück auf David Cameron zu. Der britische Premierminister bescheinigt »echte Fortschritte« in den Verhandlungen - aber es sei »noch mehr Arbeit zu tun«. Cameron bekennt sich regelmäßig zu einem Verbleib in einer »reformierten EU«. Doch er warnt auch davor, Londons Austrittsdrohungen lediglich als taktisches Manöver abzutun. Großbritannien bereitet ein Referendum zur Frage des Verbleibs des Landes in der EU vor.

Die britischen Befürworter eines EU-Austritts haben die Reformvorschläge von EU-Gipfelchef Donald Tusk als völlig ungenügend zurückgewiesen. Der ehemalige konservative Verteidigungsminister Liam Fox meinte, die ohnehin begrenzten britischen Forderungen seien »von der EU in jedem Bereich verwässert worden«. Die Vorschläge würden den Willen der Briten bei weitem nicht widerspiegeln. Es handele sich um leere Versprechen. »Die Briten wollen die Kontrolle zurück haben die Vorherrschaft des EU-Rechts über unsere Wirtschaft, unsere Grenzen und unser Parlament beenden.«

Über Wochen hatten London und Brüssel über die britischen Forderungen nach einer EU-Reform verhandelt. Mit der Vorlage eines Kompromissvorschlags sind nun die anderen 27 Mitgliedstaaten am Zug. Eine Entscheidung soll beim EU-Gipfel am 18. und 19. Februar fallen. Stimmen die EU-Länder zu, könnte Premier David Cameron die von ihm versprochene Volksabstimmung zur EU ansetzen.

Tusks Reformvorschläge, die Großbritannien in der EU halten sollen, sehen mögliche Einschränkung von Sozialleistungen für EU-Ausländer und mehr Unabhängigkeit Großbritanniens bei der Steuerung seiner Wirtschaft vor. Die Änderungen wären mitunter tiefgreifende:

England bekäme die verlangte »Notbremse« gegen Zuwanderer aus der EU. Tusks Vorschlag gesteht zu, dass Sozialleistungen wie Lohnaufstockungen oder der Anspruch auf Sozialwohnungen für Erwerbstätige aus anderen EU-Staaten »für eine Gesamtzeit von bis zu vier Jahren« beschränkt werden können. Dies würde jedoch nur für Neuankömmlinge gelten, die schon im Land sind und nicht für EU-Bürger. Allerdings soll ein automatische Kürzungen verhindert werden. Leistungen für EU-Ausländer dürften nur reduziert werden, wenn Zuwanderung »von außergewöhnlicher Größe über längere Zeit« stattfindet und diese einen »übermäßigen Druck« etwa auf die Sozialsysteme ausübt. Leistungsbeschränkungen müssen darüber hinaus »schrittweise« wieder abgebaut werden, Zahlungen können also nicht über die gesamte Zeit hinweg vollständig verweigert werden.

Würden die Vorschläge von Tusk umgesetzt, würden die neuen Regelung würde nicht nur für Großbritannien, sondern für alle EU-Staaten gelten. Alle EU-Länder sollen gegebenenfalls Kindergeldzahlungen an Bürger anderer Mitgliedstaaten verringern können.

Tusks Vorschläge sehen weiter vor, dass Großbritannien unabhängig Entscheidungen zum britschen Pfund und zum Finanzplatzes Londons treffen kann. Dafür dürfe das Land aber auch nicht »wichtige Entscheidungen« der Eurozone verzögern oder verhindern. Bei »Not- und Krisenmaßnahmen« der Eurozone erhalten die neun EU-Länder ohne Gemeinschaftswährung die Garantie, dass sie nicht finanziell zu Rettungsaktionen beitragen müssen.

Die EU verpflichtet sich »unnötige« Gesetzgebung auf EU-Ebene zurückzunehmen, auch um kleine und mittlere Unternehmen zu entlasten. Von der Verpflichtung, an einer weiteren politischen Vertiefung und dem Ausbau von europäischen Rechtes teilzunehmen, würde Großbritannien laut Tusks Vorschlag befreit.

Auch Camerons Forderung, die nationalen Parlamente zu stärken, findet sich in den Vorschlägen wieder. Bei EU-Gesetzesvorhaben können diese binnen zwölf Wochen nach Vorlage eines Entwurfs die »rote Karte« zeigen. Nötig ist dazu eine Mehrheit von 55 Prozent der nationalen Parlamente in der EU. Der EU-Rat wäre dann verpflichtet, das Vorhaben zu stoppen, falls der Entwurf nicht so ergänzt wird, dass er die Bedenken der Parlamente berücksichtigt. Agenturen/nd