nd-aktuell.de / 24.02.2016 / Berlin / Seite 10

Grüne Welle auf zwei Rädern

Ein »Volksentscheid Fahrrad« soll dem Senat Beine machen

Nicolas Šustr

Trotz der Senatspolitik sind immer mehr Radler unterwegs, sagen Kritiker. Ein Volksentscheid soll dem Fahrradverkehr wirklich fördern.

Von Nicolas Šustr

»Wir glauben, dass es viele Berlinerinnen und Berliner gibt, die gerne Rad fahren würden, aber sich nicht trauen«, sagt Heinrich Strößenreuther. Deswegen hat er mit nach eigenen Angaben momentan etwa 100 Mitstreitern die Initiative »Volksentscheid Fahrrad« gegründet. Bereits im Vorjahr wurden zehn grundsätzliche Ziele formuliert und im Januar dieses Jahres in einer 24-stündigen Online-Aktion genauer gefasst. Im Anschluss erarbeiteten mehrere Juristen aus den Vorgaben einen ersten Gesetzesentwurf, der nun zur öffentlichen Diskussion steht.

350 Kilometer echte Fahrradstraßen, zwei Meter breite Fahrradstreifen auf allen Hauptstraßen, 200 000 zusätzliche Abstellplätze an S- und U-Bahnhöfen, in Geschäfts- und Wohngebieten und 50 Grüne Wellen für Radler sind einige der Forderungen. Das klingt recht selbstbewusst, allerdings steigt der Anteil der Fahrradfahrer seit Jahren kontinuierlich, während der Autoverkehr immer weniger wird. Das zeigen die Statistiken der Stadtentwicklungsverwaltung.

200 Berliner Straßen hat Strößenreuthers Initiative »Clevere Städte« 2014 für eine Studie vermessen. Nur drei Prozent der Verkehrsfläche sind für Radler reserviert, während der Autoverkehr inklusive Parkplätzen 58 Prozent Anteil hat, so das Ergebnis. Doch bereits 2013 überholten Fahrräder in der Verkehrsstatistik Autos. 18 Prozent aller Wege in der Innenstadt wurden mit ihnen zurückgelegt, im Vergleich zu 17 Prozent.

»Das ist ein Missverhältnis, das wir zugunsten der umweltfreundlichen Verkehrsmittel auflösen müssen«, sagt Peter Feldkamp vom »Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln«. Dabei sollen nach dem Willen der Initiatoren Fahrräder, Fußgänger und öffentlicher Personennahverkehr profitieren. »Wir möchten Rad- und Busspuren trennen«, sagt Strößenreuther. Busse könnten so schneller fahren, und Radler »müssen nicht mit dem Doppeldecker im Rücken« in die Pedale treten. Fußgängern sollen sich auf längere Grünphasen freuen. »Bisher muss man ja häufig über die Kreuzung joggen«, so Strößenreuther. Und auch die häufig mangelnde Verkehrsmoral in den eigenen Reihen - Gehweg- und Rotradler - will der Entwurf angehen, unter anderem mit mehr Fahrradstreifen von Polizei und Ordnungsämtern.

»Verkehrsplanung per Gesetz ist der falsche Weg«, sagt Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD). Viele Vorschläge hätten nichst mit einer sorgfältigen Abwägung unterschiedlicher Anforderungen an das Verkehrssystem zu tun. Auch CDU-Verkehrsexperte Oliver Friederici hält nicht viel von dem Begehren. Die Initiative sei »interessengeleitet«. Als Landespolitiker »müssen wir alle Verkehrsarten fördern«, schließlich gebe es immer Leute, die nicht mit dem Fahrrad fahren.

Tatsächlich hat es der Senat in den letzten Jahren meistens nicht geschafft, die zur Verfügung gestellten Mittel für den Radverkehr - zwischen fünf und sechs Millionen jährlich - tatsächlich auszugeben, unter anderem wegen Personalmangel.

»Der Senat macht einfach nicht, was nötig ist«, sagt Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen. Er freut sich daher, dass durch die Initiative das Thema stärker in der Öffentlichkeit präsent ist. »Mit der momentanen Senatspolitik werden wir die Verkehrs- und Klimaziele nicht erreichen«, sagt Verkehrsexperte Harald Wolf von der LINKEN. »Insofern kann ich den Druck durch den Volksentscheid nur begrüßen«.

Nun soll der erste Entwurf für eine Woche im Internet zur Diskussion stehen. Danach sollen ihn Juristen noch einmal überarbeiten für eine weitere Verbesserungsrunde. »Wie im Parlament soll es zwei Lesungen geben«, sagt Strößenreuther. Im Mai soll die Unterschriftensammlung starten.