Der Streit um die Kosten für Abwasseranschlüsse aus DDR-Zeiten in Sachsen-Anhalt wird ein Fall für das Verfassungsgericht. Als eine ihrer letzten Amtshandlungen vor der Landtagswahl am 13. März bringt die Fraktion der LINKEN eine sogenannte Normenkontrollklage auf den Weg. Die Klageschrift solle »unverzüglich« an das Gericht übermittelt werden, erklärten Fraktionschef Wulf Gallert und Kommunalexperte Gerald Grünert. Zwar hatte CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff unlängst versprochen, nach der Wahl eine faire Lösung finden zu wollen. Die Ankündigung halte man aber für »wenig glaubwürdig«, hieß es.
In der Kontroverse geht es um Anschlüsse an zentrale Abwasseranlagen, die vor dem 15. Juni 1991 bestanden, als im Land ein Kommunalabgabengesetz in Kraft trat. Über einen »Herstellungsbeitrag II« sollen Eigentümer von Grundstücken an seither entstandenen Kosten für Neubau und Sanierung von Leitungen und Kläranlagen beteiligt werden. Betroffen sind Besitzer von 80 000 Grundstücken. Je nach deren Größe können die Forderungen im fünf- bis sechsstelligen Bereich liegen.
Eine Frist, bis zu der die Beiträge hätten festgesetzt werden müssen oder zu der sie verjähren, gab es in Sachsen-Anhalt zunächst nicht. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2013 erklärte diesen Zustand für unzulässig. Im Jahr 2014 beschloss die Koalition aus CDU und SPD eine Übergangsregelung, die den Abwasserzweckverbänden eine Frist setzte: Der 31. Dezember 2015 galt als letzter Stichtag. Im abgelaufenen Jahr erhielten Zehntausende Sachsen-Anhalter Bescheide. Viele legten Widerspruch dagegen ein; zudem gibt es zahlreiche Bürgerinitiativen, die Widerstand bündeln. Auch Gerichte haben viel Arbeit. Erst im Februar entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Magdeburg auf Klage von zwei Betroffenen aus dem Kreis Anhalt-Bitterfeld, die Beiträge würden zu Recht erhoben.
Morgenluft wittern die Betroffenen indes seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das im November über zwei Fälle aus Brandenburg entschieden und den Klägerinnen Recht gegeben hatte. Danach hatte auch das OVG des Landes im Sinne der zwei Bürgerinnen aus Cottbus entschieden. In Sachsen-Anhalt hieß es zunächst, die Rechtslage sei mit der im Nachbarland nicht zu vergleichen. Dann jedoch vollzog das Innenministerium eine Kehrtwende: CDU-Minister Holger Stahlknecht veranlasste, dass bis zur »Klärung aufgeworfener Rechtsfragen« die Zweckverbände das Geld aus offenen Bescheiden nicht eintreiben sollten. Der Landtag beschloss, einen Verfassungsrechtler mit der Prüfung der Materie zu beauftragen.
Die LINKE wartet nun indes nicht mehr, bis das Ergebnis vorliegt. Mit der Klage greift sie die 2014 beschlossene Übergangsregelung im Kommunalabgabengesetz an. Sie habe einem »unbeschränkten Abkassieren auf der Grundlage kurzfristig erlassener Satzungen und ohne Rücksicht auf Verjährung der Weg geebnet«, heißt es. Die seither folgende »Flut an Beitragsbescheiden« sei eine »Zumutung« für die betroffenen Bürger. Zudem stellte sie eine Überarbeitung des Gesetzes nach der Wahl des neuen Landtags in Aussicht. Versprochen wird eine »zeitnahe, endliche und gerechte« Festsetzung der Beiträge sowie eine Verjährungsfrist von vier Jahren.
Dass die Richter in Dessau-Roßlau schnell zu einer Klärung beitragen, ist nicht zu erwarten. Über eine Klage zahlreicher Kommunen gegen das 2013 beschlossene Gesetz zur Kinderbetreuung etwa hatte das Gericht erst im Juni 2015 verhandelt. Viele Betroffene wollen indes bald Gewissheit. Die »Mitteldeutsche Zeitung« berichtete kürzlich, etliche Bürgerinitiativen hätten einen Kompromiss angeboten. Eigentümer sollen demnach nur die Hälfte zahlen müssen - und danach Ruhe haben.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1003655.wer-schaut-in-die-roehre.html