nd-aktuell.de / 14.03.2016 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

AKW-Betreiber fühlen sich enteignet

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über Klagen gegen den Atomausstieg

Reimar Paul
Nach der Katastrophe von Fukushima beschloss die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung den Atomausstieg. Die Stromkonzerne fühlen sich deswegen übervorteilt und klagen.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt am Dienstag und Mittwoch über die Verfassungsbeschwerden der AKW-Betreiber gegen den deutschen Atomausstieg. Die Energiekonzerne E.on, RWE und Vattenfall machen in ihren Beschwerden geltend, dass das nach der Katastrophe von Fukushima novellierte Atomgesetz einer Enteignung durch den Staat gleich kommt. Sollte das Gericht dem Begehren stattgeben, könnten die Unternehmen im Anschluss die Bundesregierung auf Schadensersatz verklagen.

Inoffiziell ist von Forderungen von bis zu 22 Milliarden Euro die Rede. Die genaue Höhe einer eventuellen Entschädigung würde allerdings erst nach weiteren, vermutlich langjährigen Zivilrechtsprozessen feststehen. Der drittgrößte deutsche Energierkonzern EnBW, der Atomkraftwerke in Baden-Württemberg betreibt, ist an der Verfassungsklage nicht beteiligt. Er gehört zu jeweils rund 45 Prozent dem Land Baden-Württemberg und den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken, deren Aktionäre wiederum neun Landkreise sind. Ein Unternehmen, das ganz oder weitgehend in öffentlicher Hand ist, kann aber nicht vor dem Verfassungsgericht gegen den Staat klagen.

Im Jahr 2002 hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung mit den AKW-Betreibern eine Art Ausstieg ausgehandelt. Allen noch laufenden Atomkraftwerken wurde eine bestimmte Reststrommenge zugebilligt, die sie noch produzieren durften. Für jeden Meiler wurde daraus ein ungefähres Laufzeitende errechnet. Ungeachtet der Vereinbarung, versuchten die Konzerne jedoch von Beginn an, durch allerlei Tricks wie etwa Leistungsreduzierung und künstliche Stillstände die Laufzeiten ihrer Kraftwerke zu verlängern.

Bei der Bundestagswahl 2009 erreichten Union und FDP die Mehrheit. Die schwarz-gelbe Koalition novellierte im Dezember 2010 das Atomgesetz im Sinne der Konzerne: Danach durften die AKW mit Regierungssegen wieder länger laufen - um durchschnittlich zwölf Jahre.

Dann kamen Fukushima und die Massenproteste gegen Atomkraft. Nachdem die Bundesländer Mitte März 2011 zunächst eine dreimonatige Betriebspause für sieben der seinerzeit 17 noch laufenden AKW verfügten, beschloss der Bundestag im Juni desselben Jahres eine weitere Atomgesetz-Novelle - es war die insgesamt 13. nach dem erstmaligen Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 1960. Die Neufassung sieht im Kern den dauerhaften Entzug der Betriebsgenehmigung für acht Atomkraftwerke und feste Abschaltfristen für die übrigen neun vor. Die letzten kommerziellen Atomreaktoren sollen 2022 vom Netz genommen werden.

Die Betreiber sehen in der Streichung der ihnen zuvor gewährten Strommengen und in der Festlegung fester Abschalttermine eine verfassungswidrige Enteignung. Hilfsweise argumentieren die Konzerne, die 13. Atomgesetz-Novelle führe zu einem nicht gerechtfertigten Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit der Betreiber von Kernkraftwerken.

Die Bundesregierung lässt sich in der Verhandlung von dem Berliner Staatsrechtler Christoph Möllers und dem Essener Umweltrechtsexperten Gregor Franßen vertreten. Sie sollen darlegen, warum sich die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes nicht auf die Betriebsgenehmigung für finanziell vollständig abgeschriebene Atomkraftwerke erstrecken könne.

Die Verfassungsbeschwerde ist nur eine von inzwischen rund 20 Klagen, die die Energiekonzerne zu verschiedenen Themen angestrengt haben - neben der Abschaltung von AKW richten sie sich unter anderem gegen Gebührenbescheide für das in Bau befindliche Endlager für schwach und mittelradioaktive Abfälle Schacht Konrad und gegen das Standortauswahlgesetz. Die AKW-Betreiber sehen nicht ein, dass die Erkundung des von ihnen für geeignet befundenen Salzstocks Gorleben unterbrochen wurde und das Suchverfahren nach einem Endlager neu aufgerollt werden soll.

Mit ihren Klagen wollen sich die Stromkonzerne aber wohl vor allem Trümpfe im Poker um die Kosten für den Atomausstieg sichern. Die von ihnen zurückgestellten 36 Milliarden Euro reichen für den Abriss der AKW und die Lagerung des Atommülls bei weitem nicht aus. Die Betreiber könnten die Klagen ganz oder teilweise zurückziehen, wenn sie im Gegenzug von weiteren Zahlungsverpflichtungen befreit bleiben.

Die Atomkraftgegner sind empört, dass sich die Konzerne den Atomausstieg versilbern lassen wollen, nachdem sie sich mit dem jahrzehntelangen Betrieb der AKW bereits eine goldene Nase verdient haben. Zum Auftakt der Verhandlung am Dienstagmorgen hat die Anti-Atom-Organisation »ausgestrahlt« eine Protestaktion vor dem Verfassungsgericht angekündigt.