»Ein Restaurant, es ist ein Restaurant«, sagt eine Frau mit Hornbrille, als sie das Souterrainlokal in einer Neuköllner Seitenstraße betritt. Sie geht zu Leoni Beckmann und umarmt sie. Im Hintergrund spielt leise Jazzmusik, die Wände sind roh verputzt, alles ist noch ein wenig improvisiert. Ab 18 Uhr füllen sich die beiden kleinen Räume, kaum ein Platz bleibt unbesetzt. Fünf Menschen in rosa Schürzen und ein Koch wirbeln umher. Beckmann begrüßt die ankommenden Gäste und berät sie in der Menüauswahl. Sie ist eine der Gründerinnen von »Restlos Glücklich«. Der Verein nutzt Lebensmittel, die wegen ihrer Form, Farbe oder angeschlagener Stellen aussortiert wurden, und macht aus ihnen schmackhafte Gerichte.
Die Idee entstand vor zwei Jahren. Damals hörte Initiatorin Anette Keuchel von einem neu eröffneten Restaurant in Kopenhagen, dem »Spisehuset Rub & Stub«. Das machte das verbreitete Containern, also die Suche nach brauchbaren Lebensmitteln in Supermarktmülltonnen, zu einer innovativen Geschäftsidee. Unverkaufbare Lebensmittel wurden gesammelt, im Restaurant zubereitet, und während eines gemütlichen Abends schonender Konsum vermittelt. Anette Keuchel war sofort begeistert und entwickelte daraus ein eigenes Konzept für Berlin, bei dem die Wertschätzung von Lebensmitteln im Mittelpunkt steht und der Profit in Bildungsarbeit fließen soll.
Denn mittlerweile fehlt vielen Menschen jeglicher Bezug zu Lebensmitteln und deren Herstellung. 18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen deutschlandweit pro Jahr im Müll, zehn Millionen Tonnen davon wären vermeidbar, besagt eine Studie der Umweltschutzorganisation WWF. 54 Millionen Tonnen Lebensmittel sind der jährliche Bedarf an Nahrung in Deutschland.
Nach vielen Monaten Planung war der gemeinnützige Verein »Restlos Glücklich« gegründet, außerdem Händler auf Wochenmärkten, Biomärkte, brandenburgische Bauern, eine Weinhandlung und viele weitere mit an Bord genommen. Um keine Konkurrenz für die Berliner Tafel zu sein, gibt es keine Zusammenarbeit mit Supermärkten. Schließlich wurden Kooperationen mit Schulen und Bildungsträgern vereinbart, sowie die ersten Catering- und Veranstaltungsaufträge übernommen.
Im Team arbeiten die meisten ehrenamtlich, nur einige Schlüsselpositionen sind fest besetzt, wie die des Kochs. Spontan und kreativ ist die Küche, denn vorhersehbar ist meist nicht, welche Lebensmittel gespendet werden. An diesem Samstag reicht die Spanne von Süßkartoffelsuppe, über Rote Beete-Röllchen mit gebratenem Chicoréesalat bis zu Kürbiskuchen, dazu Wein aus Flaschen, auf denen das Etikett verrutscht ist. Auch wenn der Chicorée ein wenig angeschmort, die Suppe dafür umso schmackhafter war, geht es den Essensrettern nicht nur um ein gelungenes Menü, das bei drei Gängen 16 Euro kostet, sondern auch ein bisschen ums große Ganze: Ein Bewusstsein für die klimatischen und sozialen Auswirkungen der westlichen Wegwerfgesellschaft und der Bezug zu Lebensmitteln und Ressourcen.
Die Räume teilt sich das »Awareness-Restaurant«, also Bewussteseins-Restaurant, wie Beckmann es nennt, mit einem anderen Betrieb.
»Gastronomie ist leider teuer, die Gewerbemieten können wir uns noch nicht leisten. Der Traum ist aber schon halb erfüllt«, sagt Leoni Beckmann. »Es gibt unser Restaurant. Nun würden wir gern sesshaft werden und gestalten, wie wir möchten. Gerade auch in Hinblick auf Räume für die Bildungsarbeit.« Derzeit gehen die Lebensmittelretter in Schulen, machen Ausflüge in die Prinzessinnengärten oder zum Kirschen pflücken nach Brandenburg. »Vorerst wollen wir klein denken und freuen uns«, so Beckmann, »unser Konzept in einem überschaubaren Rahmen auszuprobieren«. Der Start der Testphase am vergangenen Wochenende verlief bestens - mit ausgebuchten Tischen und restlos ausverkauften Gerichten.
Restlos Glücklich, Neukölln, Kienitzer Straße 22, im April ist freitags und samstags von 18 bis 22 Uhr geöffnet
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1007393.auf-den-teller-statt-in-die-tonne.html