Wie Leipziger Kunden den Kiezladen retten

Dem beliebten Eisenwarengeschäft »Fedor Gross« drohte das Aus - bis ein Verein die Weiterführung übernahm

  • Heidrun Böger, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch in Leipzig-Lindenau schließen viele alteingesessene Einzelhändler, eine Verödung des Stadtviertels ist absehbar. Doch es kommt auch vor, dass Kunden einen bedrohten Laden selbst übernehmen.

Den Eisenwarenladen »Fedor Gross« gibt es in Leipzig Lindenau schon seit über 100 Jahren. Ein älteres Ehepaar kommt rein: »Wir brauchen Schrauben für diese Möbelrolle.« Christian Weinrich holt die Schrauben aus einer Schütte: »Macht einen Euro.« Das Ehepaar gibt zwei: »Stimmt so.« Im Baumarkt hätten sie 30 Schrauben kaufen müssen, obwohl sie nur fünf brauchten: »Wir wissen, was wir an dem Laden hier haben.«

So geht es vielen Lindenauern. Deshalb war das Bedauern groß, als es hieß, das Inhaberpaar Frank geht in Rente und findet keinen Nachfolger. »Wir dachten, da geht doch was«, erzählt Vincent Schmiedt, einer von etwa sechs Leuten, die den Verein »Fedor Gross« gründeten und den Laden seit Januar 2016 weiterbetreiben.

Anfangs war es nur so eine Schnapsidee: »Fedor Gross« schließt, schade drum, da müsste man doch ... Inzwischen gab es eine Crowdfunding-Kampagne im Internet, also eine sogenannte »Schwarmfinanzierung«, bei der Nachbarn, Freunde, Interessenten insgesamt 10 000 Euro für den Erhalt des Traditionsladens spendeten. Mit dem Geld konnten die Vereinsmitglieder dem Inhaberehepaar Dorothea und Jürgen Frank eine Ablöse für das Inventar zahlen und einen Teil des Warenbestandes übernehmen, der Rest wurde über Direktkredite finanziert - ohne Banken.

Den Mietvertrag für die 200 Quadratmeter haben sie übernommen, allerdings ging das nicht ohne Mieterhöhung ab. Dorothea Frank ist eine geborene Gross und Enkelin des Firmengründers. Kaufmann Fedor Gross eröffnete das Geschäft für Schlösser, Bohrer, Zangen und Werkzeuge in der Josephstraße 47 im Jahr 1904. Für Dorothea Frank und ihren Mann ist das Geschäft ein Lebenswerk. Ging es zu DDR-Zeiten vor allem darum, überhaupt Ware anbieten zu können, kamen nach der Wende bessere Zeiten. Den Franks ging es in den Neunzigern gut. »Fedor Gross« konnte sich behaupten, weil er spezielle Maße führt, weil er bei Einzelteilen günstiger ist und weil er Laufkundschaft bedient - sowohl Handwerker als auch Privatpersonen. Doch inzwischen ist das Geschäft schwierig. Auch in Leipzig-Lindenau schließen viele alteingesessene Einzelhändler, eine Verödung des Stadtviertels droht, auch wenn um die Ecke Bio-Eisläden oder Mutter-Kind-Cafés eröffnen. Vincent Schmiedt: »So viele Leute finden die kleinen Läden im Viertel gut, kaufen dann aber im Internet. Hier wollen wir vermitteln.« Das heißt zunächst einmal herauszufinden, was die Kunden möchten. Natürlich wird »Fedor Gross« bei manchen Produkten etwas teurer sein als ein Baumarkt, und auch das Angebot kann nicht so groß sein. Oft ist er aber günstiger und zusätzlich gibt es hier persönliche und fachkundige Beratung, ein »ehrliches Kaufen«, wie Vincent Schmiedt es nennt. Keine Schnäppchen und Geiz-ist-Geil-Mentalität. Und eben auch die einzelne Schraube, den einzelnen Haken, das besondere Werkzeug auf Kundenbestellung.

Christian Weinrich hat im Moment eine Teilzeitstelle, die anderen kommen stundenweise mit dazu, um die Öffnungszeiten von 9 bis 17 Uhr abzudecken. Von Beruf sind sie Handwerker, Betriebswirtschaftler und IT-Fachmann, eine Architektin ist dabei und mit Susann Reuter eine Ingenieurin. Sie sagt: »Die Resonanz war bisher positiv. Nur zweifeln manche, ob wir es schaffen, den Laden zu erhalten.« Daran lässt Vincent Schmiedt, übrigens studierter Philosoph, keinen Zweifel: »Noch läuft vieles ehrenamtlich, aber das ist kein Selbstausbeutungsprojekt. Wir wollen solide wirtschaften und mindestens drei Arbeitsplätze schaffen.« Motto: Wirtschaft von unten. Profit-Maximierung ist kein Ziel.

Nach der Crowdfunding-Kampagne geht es jetzt darum herauszufinden, welches Sortiment die Kunden möchten. Also nicht nur Meißel und Schrauben, sondern vielleicht auch Scheren und Bügeleisen. Dennoch soll »Fedor Gross« seinen Charme des alten Schraubenladens behalten. In Workshops mit Handwerkern aus dem Viertel sollen diese dazu bewegt werden, (auch) bei Fedor Gross zu bestellen. Zu fairen Preisen. Synergien wären möglich, so könnten sich im Hof eine Schlosserei oder eine Selbsthilfewerkstatt ansiedeln, ein Zuschnittservice - alles vom Laden aus koordiniert. Oder auch eine Baustoff-Einkaufsgenossenschaft für Selbstnutzer-Häuser - dabei schließen sich Familien zusammen und bauen Mehrfamilienhäuser gemeinsam aus. Eine Online-Präsenz mit Bestellfunktion und Fahrradkurier für die Zustellung ist auch im Gespräch.

Beinahe täglich war die frühere Laden-Inhaberin Dorothea Frank nach der Übergabe noch vor Ort, half beim Bestellen, erklärte die Abläufe. Nach nunmehr drei Monaten ist diese Unterstützung immer weniger notwendig. Die Vereinsmitglieder sind gut vernetzt in Lindenau, nutzen ihre Kontakte. Geht es nach Vincent Schmiedt und den anderen »gibt es Fedor Gross noch weitere 100 Jahre.«

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