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Ein Heim zum Bleiben

Zwei Sachsen entwerfen ein schickes Zuhause für Flüchtlinge

  • Hendrik Lasch, Augustusburg
  • Lesedauer: 7 Min.
Weil sie Container für unzumutbar halten, ersannen zwei engagierte Sachsen ein Holzhaus für Flüchtlinge. Der schicke Öko-Bau hat nur Vorteile. Nutzer sucht man bisher trotzdem vergebens.

Die Einladung zum Bleiben ist 5,75 Meter breit, 8,25 Meter lang und hat eine Fassade aus Fichtenholz, die in edlem Grau gebeizt ist. Sie verfügt über Bad und Küchenzeile, ein angenehmes Wohnklima und gedämmte Wände. Sie könnte von ihren Bewohnern selbst aufgebaut werden, und wenn sie nicht mehr benötigt wird, ließe sie sich an anderer Stelle wieder aufstellen. Wobei: Wenn es nach Dirk Neubauer geht, sollen die Bewohner eben nicht unbedingt weiterziehen. »Wir können froh sein, wenn einige bleiben«, sagt der Bürgermeister von Augustusburg: »Es ist ja nicht so, dass wie sie nicht bräuchten.«

Sie - das sind Flüchtlinge. Männer, Frauen, Kinder aus Syrien, Afghanistan, Irak. Menschen, die im vorigen Sommer in so großer Zahl nach Deutschland kamen, dass Behörden an den Rand der Leistungsfähigkeit gerieten. Dass planlos jedes verfügbare Gebäude zu einer Unterkunft umgerüstet wurde, dass in Turnhallen und alten Baumärkten Klappbetten aufgestellt wurden. Deren Bewohner hausten fortan in stickiger Enge - und sahen sich vor den Türen ihrer Unterkünfte allzu oft mit Ablehnung oder gar Hass der Einheimischen konfrontiert, zumal in Sachsen. Auch Neubauer hat die Bilder aus Clausnitz noch im Kopf: der pöbelnde Mob und verängstigte Menschen in einem Bus, auf dem das zynisch wirkende Wort »Reisegenuss« zu lesen war. »Unsägliche Bilder«, sagt der Bürgermeister und gibt zu verstehen: In seiner Stadt sollten die Dinge anders laufen.

Menschen sind willkommen

Augustusburg: Das ist auf den ersten Blick ländliche Idylle am Stadtrand von Chemnitz. Auf dem Berg: ein weithin sichtbares Jagdschloss mit vier wuchtigen Ecktürmen, erbaut vom sächsischen Kurfürst August. Aus dem Tal der Zschopau werden Touristen von einer Standseilbahn durch lichten Laubwald auf die Anhöhe befördert. Der Weg zum Schlossportal führt an Cafés und Andenkenläden vorbei. Über die Mauern hinweg bietet sich ein beeindruckendes Panorama des Erzgebirges: Wälder, Berge, Türme.

Auf den zweiten Blick ist Augustusburg ein Ort, mit dem es trotz der Höhenlage bergab geht. Eine »siechende Stadt«, wie der Bürgermeister freimütig einräumt. Solche Begriffe mögen dem Stolz der Einheimischen nicht zuträglich sein, die Zahlen aber sprechen für sich. Von 4600 Bürgern im Ort ist fast jeder zweite 55 Jahre oder älter. Kaum ein Handwerksbetrieb bildet noch Lehrlinge aus. »Die sagen sich: Für mich reicht es noch, und danach ist Schluss«, sagt Neubauer. Wo weniger Menschen leben, gibt es auch weniger Geld: Steuern fließen spärlicher, ebenso die Zuweisungen vom Land. Wie lange man die Infrastruktur noch halten könne, sagt der Bürgermeister, »lässt sich ausrechnen«.

Zuwanderung täte dem Ort gut, meint Neubauer, der selbst ein Zugereister ist, ein »Uhiesiger«, wie es im Erzgebirge heißt. Der gebürtige Hallenser war Journalist und gründete in Chemnitz eine Beratungsfirma für die Medienbranche, bevor er seine Anteile verkaufte und sich in Augustusburg einen Traum verwirklichte: Er betrieb eine Kaffeerösterei. 2013 ließ er sich zur Kandidatur als Bürgermeister überreden - und wurde zur eigenen Verblüffung gewählt.

Für einen gemütlichen Verwalter, so viel ist sicher, haben sich die Bürger nicht entschieden. Auch nicht für einen Rathauschef, der seine Stadt im eigenen Saft schmoren lässt und die Probleme der Welt am liebsten weit vorm Stadttor hält. Als man in Sachsen um die Unterbringung der gut 40 000 Flüchtlinge rang, die dem Freistaat nach einem bundesweiten Schlüssel zugewiesen wurden, gab es Bürgermeister, die alle Schotten dicht machten: Kein Platz, keine Wohnungen, hieß es. Neubauer sagt: Die 87 Menschen, die auf seine Stadt entfallen, werden untergebracht. Dabei müsste auch die, um geeignete Wohnungen herzurichten, Geld investieren, das man bei der Bank leihen müsste. Und auch Augustusburg, gelegen im Landschaftsschutzgebiet, hat keine Fläche, auf der man Container aufstellen kann. Allerdings sind Container ohnehin nicht das, womit man Zuwanderer zum Bleiben bewegen könnte. »Ich kann nur jedem empfehlen, mal eine Weile in so einem Ding zu wohnen«, sagt der Bürgermeister: »Eine Katastrophe!«

Kein angenehmes Quartier ist allerdings auch die Turnhalle, die man ab Oktober bereit hielt. Zudem wird sie für andere Zwecke benötigt, für den Sport oder den Fasching, dessen Absage im November nicht eben für Begeisterung bei den Vereinen sorgte. In Augustusburg suchte man nach einer anderen Lösung - und verfiel auf die Idee, Häuser zu konstruieren, wie jetzt eines in der Werkhalle von Jörg Buschbeck steht. 36 Quadratmeter, eine solide Holzrahmenkonstruktion, ein schickes Gebäude, das sogar der Energieeinsparverordnung entspricht.

Just do it!

Für Jörg Buschbeck ist das ein wichtiger Faktor: Der Unternehmer verdient sein Geld mit Anlagen, die Sonnenwärme nutzen, um Häuser zu beheizen. Er ist ein Öko-Pionier, der seit über 25 Jahren im Geschäft ist, der für den Vertrieb seiner Anlagen einst eine Genossenschaft gründete und der stets gern tüftelt und probiert. Den Prototyp des Mini-Hauses für Flüchtlinge, das er mit Neubauer ersann, entwarf und baute er binnen vier Wochen. Mit einer Konstruktionszeichnung hielt man sich nicht auf. »Ich dachte: Just do it«, sagt Buschbeck: »Und dann habe ich eins hingestellt.«

Was jetzt in Buschbecks Werkhalle steht, ist nicht schlicht ein Holzhaus - es ist eine Art eierlegende Wollmilchsau. Der Kubus wäre bequeme Herberge für vier Menschen; würde er etwas verlängert und um einen zweiten Schlafraum ergänzt, wären es acht. Der Aufbau solcher Häuser würde nicht nur bei Handwerkern für Arbeit sorgen, auch geschickte Flüchtlinge könnten mit Hand anlegen - was dem Verhältnis von Einheimischen und Zuwanderern zuträglich wäre. »Arbeit ist der beste Integrator«, sagt Neubauer: »Wer miteinander spricht und arbeitet, baut Vorurteile ab.« Flüchtlinge, die in ihre Heimat zurückkehrten, wüssten dank dieser Erfahrung, wie sie in den dortigen zerstörten Städten mit wenig Aufwand Unterkünfte errichten könnten. Die Holzhäuser wiederum seien so solide, dass sie auch nach Jahren noch Nutzer finden könnten - und auch jetzt schon nicht nur für Flüchtlinge interessant sind. »Das ist keine Notunterkunft«, sagt Neubauer, »das ist ein echtes Einsteigerhaus.«

Erfolgloses Klinken putzen

Warum aber brummt dann die Produktion noch nicht? Warum schießen nicht Siedlungen mit den Mini-Häusern in Augustusburg und anderswo in Sachsen aus dem Boden? »Wir bieten das Haus an wie Sauerbier«, sagt Neubauer, »aber keiner will es.« Eine groteske Situation: Noch vor Monaten wurde jede noch so herunter gekommene Immobilie belegt. Jetzt hat sächsischer Tüftlergeist ein praktisches, ökologisches und sogar schickes Haus hervorgebracht - und keiner will es. »Die Lage hat sich geändert«, sagt Petra Köpping, die SPD-Ministerin für Integration im Freistaat. Der Zuzug der Flüchtlinge ist wegen der Grenzschließungen auf dem Balkan abgeflaut. Die Behörden beeilen sich mit der Registrierung und Entscheidung über die Asylanträge. Nach vier Wochen ist in der Regel klar, ob ein Flüchtling bleiben darf. Dann kann er selbst entscheiden, ob er in Sachsen bleiben will. Viele der Notunterkünfte, die im Freistaat unter Hochdruck errichtet wurden, stehen leer. Nach Augustusburg kamen nicht 87 Flüchtlinge im Herbst, sondern eine Familie - jetzt, im April.

Und so haben Neubauer und Buschbeck bisher vergebens Klinken geputzt: bei Bürgermeistern und Landräten, bei Leasinggesellschaften und Firmen, die Unterkünfte betreiben. Dabei wollen sie nicht einmal Geld verdienen mit dem Projekt: »Wir würden es freigeben«, so Buschbeck - zum Beispiel an Beschäftigungsgesellschaften. Köpping scheint davon wie von der Idee insgesamt angetan. »Es muss einen geben, der damit anfängt«, sagt sie und verspricht Unterstützung. Vielleicht bauen ja doch in absehbarer Zeit Flüchtlinge und deutsche Handwerker zusammen eine kleine Siedlung mit den Häusern, die zum Bleiben einladen sollen. Das, sagt Jörg Buschbeck, »wäre doch auch mal eine schöne Geschichte aus Sachsen.«

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