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Leipzigs Lieblingslehrer

Ralf Rangnick hat bei RB den spannendsten Job im deutschen Fußball. Er genießt ihn. Von Jirka Grahl

  • Lesedauer: 4 Min.

In gleich zwei der irrsten Fußballmärchen, die in Deutschland je zu bestaunen waren, spielt er eine Hauptrolle, doch auch mit 57 Jahren verströmt Ralf Rangnick noch immer den biederen Gymnasiallehrer-Charme von einst: Ehrgeizig, pflichtbewusst, konzentriert - wie bei jenem Auftritt 1998 im ZDF-Sportstudio vor fast 20 Jahren, der ihm den Beinamen »Fußballprofessor« verschaffte. Damals erklärte der schwäbische Wundertrainer vom Zweitligisten SSV Ulm den Deutschen an einer Tafel im ZDF-Sportstudio, was moderner Fußball ist: Viererkette, Pressing, Überzahlsituationen.

Bis heute, einen Vizemeistertitel (2005 mit Schalke 04), einen DFB-Pokalsieg (2011 mit Schalke), einen Herbstmeistertitel (2008 mit der TSG Hoffenheim) und insgesamt acht Aufstiege später, hat Ralf Rangnick nichts von seiner Lust an Theorie und Taktik verloren. »Wir Deutschen waren doch bis 2000 für alles Mögliche bekannt, nur nicht fürs Taktische«, sagt Ralf Rangnick an diesem Donnerstagvormittag im April 2016. Die Deutsche Presse-Agentur hat ihn zu einer Gesprächsrunde mit Journalisten aus ganz Deutschland geladen. In wenigen Tagen will er mit den Kickern von RB Leipzig den Aufstieg in die 1. Bundesliga geschafft haben. »Wir waren Vorbilder in Sachen Mentalität, Disziplin, Einstellung. Aber in Sachen Strategie nicht. Dabei ist das doch das eigentlich Spannende. Das Wie, der Plan, den man hat. Wie reagiert man, wenn der Gegner das oder das macht? Die Kniffe, das Filigrane - das können wir jetzt auch. Auch hier sind die Deutschen jetzt Vorbilder geworden, vielleicht auch ein wenig wegen Hoffenheim.«

Hoffenheim ist ein herausragender Punkt in Ralf Rangnicks Karriere: Aus einem Dorfklub machte der aus Schwaben stammende Fußballlehrer (Jahrgangsbester 1984 an der Sporthochschule Köln, Notendurchschnitt 1,2) mit Hilfe des SAP-Millionärs Dietmar Hopp in knapp fünf Jahren einen Bundesliga-Tabellenführer (2008). Die Fußballwelt staunte, sogar die Londoner Times berichtete vom Fußballwunder im Kraichgau, die Traditionalisten indes waren empört: so viel Geld, so wenig Seele.

Ralf Rangnick hat sich von solcher Sentimentalität nie beirren lassen. Längst ist er Chefcoach und Sportdirektor bei einem noch umfangreicher ausgestatteten Projekt - RB Leipzig. Rangnick findet das Wort »Projekt« allerdings nicht gerade passend für die Leipziger Bemühungen, den Klub in der 1. Bundesliga anzusiedeln: »Ein Projekt ist zeitlich begrenzt, doch RB ist alles andere als zeitlich eingeengt. Leipzig und Fußball - ich bin überzeugt, wird keine temporäre Erscheinung sein.«

Seit 2012 ist Rangnick bei der Fußballabteilung des österreichischen Energydrinkgiganten Red Bull angestellt, es war das erste Engagement nach seiner Burnout-Erkrankung, die er als Trainer beim FC Schalke 04 erlitten hatte. Anfangs kümmerte er sich vor allem um das österreichische Spitzenteam Red Bull Salzburg, doch schon bald wandte er seine Aufmerksamkeit den Leipzigern zu, die es aus der fünften relativ schnell in die zweite Liga schafften. 2015 übernahm er den Trainerposten, weil keiner der Wunschkandidaten verpflichtet werden konnte.

Für Rangnick ist es ein Traumjob, schließlich setzt RB vor allem auf den Nachwuchs, das Leistungszentrum am Cottaweg gilt als das beste Deutschlands. 250 Spielerinnen und Spieler trainieren dort, zwei Dutzend spielen in Jugendnationalmannschaften. Klubprinzip ist es, auch für die erste Mannschaft nur junge Spieler zu verpflichten. Ein 28-Jähriger sei für RB schon zu alt, sagt Rangnick.

Er hat Spaß am Gestalten: Die vielen Red-Bull-Millionen kann er in Nachwuchsarbeit, Scouting und Trainerausbildung stecken: Jede Mannschaft, von der U8 bis zu den Männern, soll dieselbe Spielphilosophie befolgen. Sollte der Aufstieg wie erwartet klappen - noch zwei Spiele stehen aus, der Vorsprung auf Nürnberg beträgt fünf Punkte - will er das Erstligateam mit Talenten aufrüsten. Er freut sich diebisch darauf: »Wir wollen richtig geile junge Spieler holen! Welche, wo sich andere fragen: Was, wen haben die denn da jetzt verpflichtet, hab ich ja noch nie gehört!«

Seit Herbst wohnt Rangnick in der Nähe des Stadions. Er spüre die Liebe der Leipziger zu dem neuen Verein ganz deutlich, sagt er. Längst habe er Leute gefunden, mit denen er gern seine Freizeit verbringt: »Ich fühle mich als Leipziger.« Er habe sowieso immer eine Beziehung zu Sachsen gehabt, seine Eltern haben sich nach dem Krieg in einem Flüchtlingslager in Kuhschnappel (bei Zwickau) kennengelernt, ein Onkel sei in Sachsen geblieben. »Ich kann einigermaßen Sächsisch sprechen«, verrät Rangnick, »oder Sächsisch nachmachen, müsste man ja sagen.«

Gegen die Anfeindungen der Traditionalisten, die in der ersten Liga noch heftiger sein werden, will Ralf Rangnick mit schönem Fußball ankämpfen: »Ich glaube, dass wir mit unserer Art zu spielen eine Bereicherung sein können.«

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