Es grünt so grün in Stangengrün

Wie der 600-Einwohner-Ort an der Grenze zum Vogtland schönstes Dorf in Sachsen wurde

  • Heidrun Böger, Stangengrün
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Ortsbild von Stangengrün hat sich nie viel verändert. Keine Textilindustrie wie in Nachbarorten zerstörte die historische Gestalt. Doch schönstes Dorf in Sachsen wurde der Ort durch die Bewohner.

Thore Zielke steht in der »Alten Mühlenbäckerei« von Stangengrün, um ein paar Einkäufe zum Freitagabend zu erledigen. Das geht schnell, denn der 19-Jährige hat es nicht weit zum Laden - im 600-Einwohner-Ort Stangengrün sind die Wege kurz. »Auch wenn Bäckerei und Laden klein sind, ist es doch schön, dass wir das haben und nicht extra nach Kirchberg müssen«, sagt Thore. Der junge Mann wohnt im schönsten Dorf von Sachsen. Das ist ihm durchaus bewusst, nicht nur, weil viel über die Auszeichnung des Ortes im vergangenen Jahr berichtet wurde, sondern auch, weil er es selbst jeden Tag sieht.

Stangengrün liegt idyllisch im Süden des Landkreises Zwickau. Die Gehöfte schmiegen sich in ein Tal, durch das sich ein Bach schlängelt. Unterwegs macht er Station in den verschiedenen Dorfteichen. Die Landschaft ist leicht hügelig, Schafe und Schottische Hochlandrinder grasen, Lärm gibt es nicht. Trotz der nur 600 Einwohner ist Stangengrün flächenmäßig recht groß, ein so genanntes Waldhufendorf. »Früher war jeder Bauernhof eine Hufe«, erklärt Bernd Gündel, ein alteingesessener Stangengrüner. Das heißt, es gehörte zu jedem Gehöft eine Hufe Land dazu, etwa 20 Hektar. Das ist auch heute noch gut zu erkennen. Doch reicht all das, um schönstes Dorf in Sachsen zu werden, einen Wettbewerb zu gewinnen, an dem immerhin 17 attraktive Orte teilnahmen?

»Das Besondere bei uns ist sicher der Zusammenhalt, hier ziehen alle an einem Strang«, sagt Bernd Gündel. Es gibt diesen Film »Unser Stangengrün«, den sein Sohn mit einem Freund gedreht hat. Der hat die Jury bei der Präsentation sehr beeindruckt. Genauso wie der Vortrag von Thores Mutter Katja Müller, in dem sie erzählte, dass sie, nachdem sie vor einigen Jahren nach dem Studium in Berlin in ihren Heimatort zurückkam, die einzige aus ihrer Schulklasse war, die (wieder) hier lebte.

Doch inzwischen gibt es immer mehr Rückkehrer, eine Freundin Katjas kam aus Namibia wieder nach Stangengrün. Örtliche Unternehmen wie die Ebert & Weichsel GmbH und das nahe VW-Werk in Zwickau geben Arbeit - die Stangengrüner stemmen sich erfolgreich gegen das, was man ländliche Verödung nennt. Die Einwohnerzahl wächst, wenn auch langsam. Jedes Haus ist bewohnt, fast alle saniert. Nach der Wende entstand ein kleines Neubaugebiet mit 13 Ein- und Zweifamilienhäusern. Mit dem »Spatzennest« gibt es eine kleine Kindertageseinrichtung. Die 2007 in Rede stehende Schließung konnte - auch durch Initiative der Bürgerinnen und Bürger - verhindert werden. Heute ist das »Spatzennest« mit 29 Stangengrüner Kindern wieder gut ausgelastet. Dorfladen/Bäckerei mit Paketannahme, Friseur, Kirche, Museum, Feuerwehr, Gaststätte »Zur Talmühle«, Café im Hakenhof, Blumenladen, mehrere Handwerksbetriebe - es ist alles da. Der Dorf-, Heimat und Jugendverein ist seit 2010 engagiert. Sicherlich: Die Kinder fahren mit dem Bus zur Schule in die benachbarten Orte, und den Großeinkauf zum Wochenende muss man auch woanders erledigen. Aber: Stangengrün ist ein lebendiger Ort.

Gewann im Jahr 2012 mit Rammenau noch eine eher touristisch geprägte Gemeinde den alle zwei Jahre stattfindenden Landeswettbewerb »Unser Dorf hat Zukunft«, so legte die Kommission diesmal mehr Wert auf das Ländliche und den Zusammenhalt. Und man war beeindruckt von der natürlichen Art der Präsentation in Stangengrün. Es gibt vier hauptberufliche und 15 nebenberufliche Landwirtschaftsbetriebe, mehrere Imker und Geflügelzüchter. Ein Vorteil war, dass sich nie viel verändert hat. Keine Textilindustrie wie in den Nachbarorten zerstörte das historische Ortsbild. Die Anwohner tragen ihren Anteil bei, indem sie die Fachwerk- und Umgebindehäuser auf althergebrachte Weise sanieren, ihre Höfe pflastern und nicht asphaltieren. Dorothee Obst, die Bürgermeisterin der Stadt Kirchberg, zu der Stangengrün heute gehört, ist stolz:» Die Auszeichnung ist etwas Besonderes.« 5000 Euro Preisgeld gab es, die nach Stangengrün flossen, unter anderem für neue Ortseingangsschilder, Kinderspielgeräte und die Ausschilderung von Wanderwegen. Die Stadt investiert in den Erhalt der Straßen und in die Kindertagesstätte und trägt so zum Ortsbild bei.

In Stangengrün engagieren sich viele. Sie sammelten Geld für die Erneuerung der historischen Pyramide im Ort, die in der Vorweihnachtszeit für Adventsstimmung sorgt. Bernd Gündel: »Aktuell geht es um die Erneuerung der Kirchenglocken. Zwei von den drei sind seit dem 1. Weltkrieg aus Stahl, hier sollen wieder wie früher Glocken aus Bronze läuten.« Bürgermeisterin Obst: »Die Stadt trägt auch einen finanziellen Anteil.« Die Kirche selbst ist eine der ältesten in der Gegend, Altar und Glocken sind aus dem 16. Jahrhundert.

Jetzt will Stangengrün am Bundeswettbewerb »Unser Dorf hat Zukunft« teilnehmen, 32 Mitbewerber gibt es. Thore Zielke: »Bei uns ist es so schön. Die Leute von der Bewertungskommission werden beeindruckt sein, wenn sie im Sommer kommen, da bin ich sicher.« Wenn Stangengrün tatsächlich den Titel gewinnt, wäre die Auszeichnungsveranstaltung im Januar 2017 während der Grünen Woche in Berlin. Die engagierten Stangengrüner und Bürgermeisterin Dorothee Obst werden auf alle Fälle hinfahren.

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