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»Wehrt euch! Empört euch und fechtet’s besser aus!«

An der Dresdner Musikhochschule »Carl Maria von Weber« wurde Hermann Kellers »Barabbas-Passion« uraufgeführt

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Das ist ein Stück des Widerstands, wie es die Zeit nötig hat. Krud die Tonfälle darin. Gellendes Blech akzentuiert die Landschaft, und die Streicher schweigen nicht, sie singen. Fällt das Wort »Zorn«, rumoren Posaune und Tuba und schrill intoniert die Trompete. Die Singstimme reckt sich forte fortissimo hoch beim Wort »Aufstand«. Auf »... dass er gekreuzigt werde« liegen triolische Percussionsschläge. Scharf artikuliert das Ensemble entlang des Satzes: »Der vertriebene Bauer hatte nur die Wahl, ein demütiger Bettler zu werden oder als Kämpfer etwas von dem zurück zu holen, was ihm gestohlen wurde. Aber Räuber wurde er dann genannt.« Choräle stimmen verfremdet an. Liedhaftes legt sich über Zitate aus dem Gesangbuch. Das »Vater unser« erscheint fern seines ursprünglichen Sinnes. Bongorhythmen sekundieren auf der Linie markanter Textpassagen. Marcato-Klänge, Trillerkaskaden und dergleichen begleiten die Notschreie und rufen zur Aktion. »Wehrt euch! Empört euch und fechtet’s besser aus!« Auch Trauerklänge wachsen heraus: »Gäbe es doch ein freies Leben,/ ein freies Leben kann es für uns niemals mehr geben./ Dann woll’n wir nicht mehr leben.« Evangelist ist der Sänger, der die Sprechtexte einführt. In den Passionen des Barock ist das umgekehrt. Aber die Ariosi und Parlandi der Solisten kreuzen sich auch, verweben miteinander.

Weg mit der Ausbeutung, der Zerstörung, dem Judenhass, suggeriert der Text, her mit den Menschenrechten. Aufstand sei nötig. Auch mit Waffen! Derlei läuft heute unter Terrorismus. Eine Verdrehung. Kellers Stück ist ein Anti-Terror-Stück, eins, das zeigt, woher der Aufstand kommt.

Im anschließenden Gespräch musste der Komponist sein Herz nicht öffnen, das ist - die ihn kennen, wissen es - ohnedies offen und so gestimmt, dass darin ein Gegenpochen unentwegt mitläuft. Er sei ein Linker, vermeldete er offenherzig, immer gewesen. Da gäbe es keinen Abstrich. Typisch Keller, geboren in Zeitz, protestantisch erzogen, was ihn quälte, nunmehr einundsiebzigjährig, schmalwangig, mit weißem Jesusbart. Keller, der Unverwüstliche? Ja, was denn sonst. Der hat nie die Feder hingeschmissen. Mann aus Berlin, an der »Eisler«-Hochschule studierte und lehrte er, seit langem freiberuflich tätig. Spartanischer Ossi, der neben dem Komponieren nicht aufhört, auf dem Piano Stücke von Beethoven, Schumann, Reger bis Henze und Schenker zu spielen. Musiker, der sein bewusstes Leben über improvisiert hat, und dies immer noch tut. Dessen Finger die Klaviersaiten so geschickt präparieren können, dass dessen Ursprungsklang überschrieben scheint. Keller - was in seiner Zunft nicht unbedingt üblich ist - weiß zu abstrahieren, die Dinge im Zusammenhang zu sehen und zu benennen. Politik laufe in Kunst immer mit, sagt er. Er, der hinter die Klänge und deren Kulturen schaut und sie nicht eher anrührt, bis er sich vollständig klar ist über sie. Er, der das Tua res agitur beim Wort nimmt: Mich geht die Welt an.

Die Passion auf Barabbas ist sein jüngstes Stück. Es ist dem Andenken an Friedrich Schenker gewidmet. Riese an musikalischer Denkkraft, gestorben 2013. Keller eifert ihm nach. Die Dresdner Musikhochschule gab dem Komponisten die Aufführungsgelegenheit. Ein Vierzig-Minuten-Stück für einen Sänger (Lukas Anton), einen Sprecher (Martin Rieck) und zwölfköpfiges Ensemble aus Bläsern, Streichern und Schlagzeug. Christian Münch, einst ständiger Gastdirigent der Gruppe Neue Musik »Hanns Eisler« Leipzig, studierte das Werk ein. Dirigent: der junge Felix Immanuel Achtner.

Wozu braucht heutige Musik den biblischen Barabbas? Weil J. S. Bach die christliche Figur nur randständig benutzt. Barabbas als Aufrührer war Luther suspekt. Und Bach war mit Haut und Haar Lutheraner. Die Barabbas-Erzählung ist die Erzählung Kellers. Die Figur der Revolte und der die Revolution unverbesserlich ins Bild setzende Künstler sind siamesische Zwillinge. Der Komponist bewahrte den Stoff schon länger in sich und probierte sich daran. Dann las er Heinz-Joachim Simons im Conte-Verlag erschienenes Buch »Barabbas - Der zweite Sohn Gottes«, was seine Kompositionsabsicht bestärkte. Simon sieht in Jesus und Barabbas Freiheitskämpfer wider den Terror der Römer, auf deren Konto die Ermordung Jesu geht. Dessen Kreuz steht für Millionen Kreuze. Und ihre Spur führt bis in die Gräberfelder der Jetztwelt.

Hochschulstudentinnen und -studenten führten das Werk trotz schwieriger Raumakustik und einiger Balanceprobleme (Blechbläser überdeckten die Streicher) bravourös auf. Der Deutschlandfunk wird es demnächst senden. Ein mutiges Projekt. Es gehörte an alle Musikhochschulen.

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