nd-aktuell.de / 13.06.2016 / Kultur / Seite 16

Die Hoffnung stirbt nie

Shida Bazyars Roman »Nachts ist es leise in Teheran« - ein Buch voller Träume, Schmerz und bitterer Aktualität

Sabine Neubert

Dieser atmosphärisch dichte, klar gegliederte und äußerst anschauliche Roman ist ein Geschenk der iranisch-deutschen Autorin Shida Bazyar an die Leser in der verworrenen Gegenwart, ein Zeitdokument, das Räume überbrückt. Es ist ein Buch voller Träume, Schmerz und bitterer Aktualität. Zwei Begriffe durchziehen Geschildertes, das Wort Angst und das Wort Hoffnung. Aber die Hoffnung ist größer als die Angst. Erzählt wird die vier Jahrzehnte umfassende Geschichte einer iranisch­deutschen Familie, die wohl jener der Autorin sehr ähnlich ist. Sie beginnt im Jahr 1979 und reicht bis in die Gegenwart, ja eigentlich noch darüber hinaus. Vier, bzw. fünf Familienmitglieder berichten jeweils aus eigener Sicht, so dass sich ein lebendiges, vielstimmiges Bild ergibt.

Beginnen wir mit der Autorin im Jahr 1979 in Teheran. Behsad Haydayad und seine Freunde, junge Intellektuelle und Revolutionäre, haben sich in illegalen Zirkeln organisiert, haben Marx, Gorki und Rousseau gelesen und hoffen auf ein besseres und gerechteres Gesellschaftssystem in Iran. Als der Schah verjagt wird, scheinen die Veränderungen zum Besseren nahe zu rücken.

Auch die junge, literaturbegeisterte Nahid gehört zu dem Freundeskreis. Sie liebt besonders die Gedichte des persischen Nationaldichters Hafis. Die beiden heiraten, bekommen zwei Kinder, die Tochter Laleh und den Sohn Mohad. Aber ihr Glück ist nur ein kleines, privates. Im Land übernehmen die Mullahs die Macht, die Gefängnisse, die sich geleert hatten, sind schon bald wieder voll. Wiederum herrschen Gewalt und Terror. Und es wird so bleiben - auch zukünftig. Iran ist und bleibt, wie es später einmal heißt, »ein Land, in dem alles verboten ist.«

Als Behsads bester Freund, der kleine Peyman, der niemandem etwas zuleide tun kann, verhaftet wird, flieht Behsad mit seiner Familie nach Deutschland. Wir finden sie zehn Jahre später, 1989, in der westdeutschen Provinz wieder. Die Familie hat sich integriert, eine zweite Tochter, die kleine Tara, ist die erste von ihnen in der Fremde Geborene. Eine deutsche Freundin kann Nahid zu einem Studium überreden.

Aber der Blick der Eltern geht ständig nach Teheran, täglich verfolgen sie die Radiomeldungen, immer in der Hoffnung auf positive Veränderungen dort, verbunden mit der Angst um Verwandte und Freunde. Vergebens. Der kleine Peyman gehört zu den namenlosen Ermordeten, dessen Tod sie nur ahnen können.

Im Jahr 2009 kommt erneut Hoffnung auf einen iranischen »Frühling« auf. Da ist Mohad inzwischen Student und beteiligt sich zusammen mit seinen Studienfreunden an einer Uni-Demo, die einem fröhlichen Fest gleicht und himmelweit von den Ereignissen im Nahen Osten entfernt ist. Bestens mit aller Welt vernetzt, kommen ihm Gedanken über die Unterschiede zwischen dieser Veranstaltung und den mit Gewalt niedergeknüppelten Aufständen in Teheran - Gedanken auch über seine müde gewordenen Eltern.

Bei den in Dekaden erzählten Geschichten wurde bisher ein Kapitel ganz bewusst übersprungen. Es ist das schönste des Buches, erzählt von der sechzehnjährigen Laleh. Im Jahr 1999 fliegt Nahid mit ihren beiden Töchtern nach Teheran zur Verwandtschaft, zurück in eine Welt im Konflikt zwischen Altem und Neuem. Nachts ist es still auf den Straßen (wir wissen, warum), aber tags sind sie vom Lärm der unendlich vielen Schrotttaxis erfüllt. Die Frauen unterziehen sich schmerzenden Schönheitsritualen, um dann ihre Gestalten unter schwarzen Umhängen zu verbergen. Aber jedes Essen, zu dem sich die Großfamilie versammelt, ist ein Fest mit köstlichen Speisen, und einen solchen Pfirsichduft wie hier auf den Märkten gibt es sonst nirgendwo.

In der Sprache der Autorin, bzw. der ihrer Protagonisten, spiegeln sich die rasanten Veränderungen. Mo hat seine längst dem verknappten Slang seiner deutschen Freunde angepasst. Aber die Autorin erinnert sich auch mit Laleh, »dass Iran aus Küken und blauen Türen, aus Menschen und Gerüchen und einem Hinterhof mit einem barfüßigen Großvater« bestanden hat. In dem Buch ist mit der Hoffnung auch der Charme des alten Iran bewahrt.

Shida Bazyar: Nachts ist es leise in Teheran. Roman. Kiepenheuer & Witsch. 284 S., geb., 19,99 €.