»Die Integration von mehr als einer Million Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt ist eine Herkulesaufgabe - an deren Bewältigung die größten Konzerne dieses Landes bislang so gut wie gar nicht beteiligt sind.« Mit dieser Schelte untermalte die konservative »Frankfurter Allgemeine« am Montag eine eigene Umfrage unter »den 30 wertvollsten Unternehmen im Deutschen Aktienindex (Dax)«. Die Redakteure des Blattes wollten wissen, wie viele Geflüchtete bislang Arbeit bei den Großen gefunden haben. Und siehe da - nach Auswertung der Befragungen stellte sich heraus: Nur 54 Geflüchtete kamen bislang unter. Davon allein 50 beim ehemaligen Staatskonzern Deutsche Post. Zwei weitere beim Pharmahersteller Merck und zwei bei der Softwarefirma SAP. Wohlgemerkt: Die 30 DAX-Konzerne haben zusammen rund 3,5 Millionen Beschäftigte.
Offenbar finden die Neubürger eher Anstellungen in kleineren Firmen. Tatsächlich bedeuteten die von der FAZ ermittelten Zahlen nicht, dass nur 54 Geflüchtete Arbeit gefunden hätten, wie ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit (BA) am Montag gegenüber »nd« unterstrich. Die aktuellsten Zahlen aus dem April besagten, »dass wir 96 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern haben«. Davon seien allein 17 000 aus Syrien. Hinzu kämen noch einmal 21 000 Geflüchtete, die von April 2015 bis März 2016 »direkt im ersten Arbeitsmarkt untergekommen sind«, so der BA-Sprecher. Viele allerdings »im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung«, also als Leiharbeiter. Der unsichere Status vieler Geflüchteter ist offenbar keine Motivation für Bosse, die Betroffenen mit Langzeitarbeitsverträgen zu binden.
Trotz vollmundiger Versprechungen von Konzernlenkern wie Daimler-Chef Dieter Zetsche, der im September 2015 verkündete, die Geflüchteten könnten ein »zweites deutsches Wirtschaftswunder« auslösen, halten sich die Branchenriesen zurück. So bietet der Stuttgarter Konzern im ersten Halbjahr 2016 rund 300 Flüchtlingen ein Brückenpraktikum, das aber nicht zur Übernahme führen soll. Das erste Praktikum für Geflüchtete endete im April und »nahezu alle 40 Teilnehmer des ersten Programms erhielten Angebote von Zeitarbeitsfirmen für eine Weiterbeschäftigung in der Industrie, im Handwerk oder einen Ausbildungsplatz bei Daimler«, heißt es beim Konzern.
Bereits im Februar gründete sich die Initiative »Wir zusammen«, der sich viele DAX-Konzerne anschlossen. Siemens etwa. Der Technologie-Riese aus München mit seinen weltweit 348 000 Beschäftigten will in diesem Jahr ganze 100 Praktika anbieten. Selbst die wirtschaftsnahe »Welt« merkte mit Blick auf die Initiative an: »Manche dieser Projekte wirken aus Sicht eines Milliardenkonzerns vielleicht sogar kleinteilig.« Also mehr Imagepflege als tatsächliche Hilfe.
Viele Konzerne verweisen auf bürokratische Verfahren und Sprachhürden. Zumal nur knapp 20 Prozent der Geflüchteten über einen formalen Bildungsabschluss verfügen. Dass trotzdem viele Geflüchtete einen Job fanden, verdankt sich auch »ethnischen Netzwerken«, wie der Volkswirtschaftler Herbert Brücker jüngst erklärte, der für das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung tätig ist. »Über 60 Prozent der Flüchtlinge finden Jobs über Angehörige, Freunde, Bekannte«, sagte Brücker bei einem Fachgespräch im Bundestag. Diese ethnischen Netzwerke sind wichtig, denn nicht nur die Konzerne halten sich zurück. Laut einer aktuellen Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft planen nur 8,6 Prozent der befragten 540 Unternehmen, in den kommenden sechs Monaten Geflüchtete einzustellen.