Zu den Kommunen in Brandenburg, die bis heute am stärksten mit den Langzeitfolgen des Zweiten Weltkrieges zu kämpfen haben, zählt Oranienburg (Oberhavel). Immer wieder sorgen Funde von schweren Fliegerbomben mitten im Stadtgebiet für Schlagzeilen. Einen bedeutenden Beitrag zur Aufklärung und Beseitigung der im Boden lauernden Gefahr leistete auch die Deutsche Bahn (DB) AG. Am Dienstag zog sie in Oranienburg die Bilanz eines 2011 mit der Stadtverwaltung vereinbarten Gemeinschaftsprojekts zur Kampfmittelbeseitigung auf dem Bahngelände und entlang der Bahntrassen. Die DB-eigenen Flächen rund um den Bahnhof Oranienburg wurden zeitgerecht und unterhalb der prognostizierten Kosten von 20 Millionen Euro untersucht, geräumt und von der Stadt Oranienburg für kampfmittelfrei erklärt. Die DB hat damit für die Stadt eine 25 Hektar große Fläche mit sicherem Baugrund bereitgestellt.
Die nördlich Berlins gelegene Stadt war ein bedeutender Standort der Rüstungsindustrie und -forschung, dort produzierten die Heinkel-Flugzeugwerke und die Auerwerke, befanden sich ein Militärflugplatz, SS-Depots aber auch das nahe Konzentrationslager Sachsenhausen. Bei zahlreichen alliierten Luftangriffen auf Fabriken, Militär- und Verkehrseinrichtungen wurden Zehntausende Tonnen Spreng- und Brandbomben abgeworfen. Die Stadtverwaltung spricht unter anderem von rund 10 500 Großbomben, deren Zünder auf Verzögerung eingestellt waren, um größtmöglichen Schaden anzurichten. Etliche dieser fünf bis zehn Zentner schweren Abwurfwaffen explodierten im weichen Untergrund nicht, jedoch verfügten viele über einen chemischen Langzeitzünder, der die Bomben bis heute extrem gefährlich macht. Viele Blindgänger wurden nach dem Krieg entdeckt und entschärft, allein in den Jahren 1965 bis 1990 waren es 200 Stück. Nach der Wende wurde die Suche unter anderem durch Auswertung alliierter Luftbildaufnahmen systematisiert. Noch 2015 ging man von 300 scharfen Bomben im Boden der Stadt aus.
Die US-amerikanischen und britischen Bomber hatten auch die Verkehrsanlagen der Bahn im Visier. Im Rahmen der Erkundung auf dem Bahnareal durch die DB wurde insgesamt 37 348 Mal gebohrt und auf Bombenblindgänger sondiert, teilte der Konzern am Dienstag mit. 2655 Verdachtspunkte im Gleisbereich bis in anderthalb Meter Tiefe seien durch Aufgraben überprüft worden, 284 Verdachtspunkte in bis zu sieben Metern Tiefe sehr aufwendig im Halbschalenverbau oder mit einem in den Boden eingepressten Spundwandkasten überprüft. Dabei bargen Experten acht Blindgänger, von denen einer vor Ort gesprengt wurde. »Nach Abschluss des Projektes gelten nun 95 Prozent der Fläche zwischen Oranienburg und Lehnitz als kampfmittelfrei«, heißt es in einer Erklärung.
»Vollständig gebannt ist die Gefahr für Oranienburg damit aber längst noch nicht«, erklärte der Sprecher des Innenministeriums in Potsdam, Steffen Streu, dem »nd«. An diesem Mittwoch werde der 196. Blindgänger in Oranienburg seit der Wende entschäft.
Die nicht explodierte, 500 Kilogramm schwere US-Bombe war vor wenigen Tagen auf einem Grundstück am Alten Hafen entdeckt und am Montag als gefährlich identifiziert worden. Ihr chemischer Langzeitzünder ist noch immer scharf.
Für den Zeitraum der Entschärfung müssen am Mittwochmorgen in einem Sperrkreis von 1000 Metern rund um den Fundort etwa 4000 Anwohner ihre Wohnungen verlassen, teilte die Stadtverwaltung mit. Auch mehrere Kitas werden geschlossen. Sollte die Entschärfung der Zehn-Zentner-Bombe ohne Zwischenfälle erfolgen, könnten die Sperrungen ab 15.30 Uhr aufgehoben werden.
Einschränkungen betreffen auch den Schienenverkehr. So stellt die Berliner S-Bahn den Betrieb vor Ort ab 8 Uhr komplett ein. Regionalzüge fahren bis 10.15 Uhr ohne Halt durch die Stadt. Danach werde der Regional- und Fernverkehr komplett eingestellt, sagte DB-Sprecher Burkhard Ahlert. Reisende könnten einen Ersatzverkehr mit Bussen nutzen. Gesperrt wird auch die Schifffahrt auf der Havel, auf dem Oder-Havel-Kanal und auf Teilen des Lehnitzsees.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1020803.oranienburg-kann-noch-keine-entwarnung-geben.html