Die türkische Schriftstellerin und Journalistin Asli Erdogan sagte 2008 der »FAZ«, dass sie deshalb so viel über die Zustände in den Gefängnissen ihres Heimatlandes schreibe, weil sie dort sein wolle, wo die menschlichen Tragödien am dunkelsten seien. Sie sagte: »Denn dort herrscht die größte Stille.« Nun befindet sie sich wieder an solch einem furchtbar stillen Ort - aber diesmal nicht als Berichterstatterin, sondern als Gefangene. Denn Asli Erdogan wurde Ende letzter Woche festgenommen, nachdem ein Gericht die Schließung der pro-kurdischen Zeitung »Özgür Gündem« in Istanbul angeordnet hatte, für die sie seit 2011 arbeitete. Insgesamt wurden 23 Journalisten des Blattes, unter ihnen auch ein Karikaturist, festgenommen, wie Medien berichteten. Der Vorwurf gegen Asli Erdogan: »Volksverhetzung«.
Asli Erdogan, die eigentlich Physikerin ist und am Cern in Genf geforscht hat, wandte sich Anfang der 90er Jahre dem Schreiben zu. Seitdem polarisiert die 49-Jährige in ihrer von gesellschaftlichen Grabenkämpfen gezeichneten Heimat. So schrieb sie von 1998 bis 2001 Kolumnen für die linksliberale türkische Zeitung »Radikal«. Dort berichtete sie von Folter in türkischen Gefängnissen und ergriff Partei für unterdrückte Kurden, weshalb sich »KollegInnen« anderer Zeitungen schon damals auf sie stürzten und als »Nestbeschmutzerin« diffamierten.
Doch damit nicht genug der »Blasphemie«: 2007 würdigte Asli Erdogan den ermordeten armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink in einem Nachruf in »Radikal«. Kurze Zeit später entschuldigte sich die Journalistin zusammen mit anderen Intellektuellen gar öffentlich für das Leid, das man den Armeniern angetan habe. Vor der darauf folgenden Hasswelle floh die Unbequeme vorübergehend ins Ausland.
Und nicht nur »aufgebrachte Patrioten« setzten Asli Erdogan zu. Laut »FAZ« hatte die Polizei ihr bei Verhören so schwere Verletzungen zugefügt, dass sie bereits 2008 auf Medikamente und eine Halskrause angewiesen war. Kollegen und Freunde haben nun eine Unterschriftenkampagne für ihre Freilassung gestartet.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1022945.die-unbequeme.html