Keine Hoffnung auf Gerechtigkeit
Nur schleppende Ermittlungen im Falle des ukrainischen Journalistenmordes
»Zwei Monate sind bereits vergangen. Niemand wurde bisher festgenommen«, klagt Sewgil Musajewa-Borowik, Chefredakteurin der bekannten Online-Zeitung »Ukrainska Prawda«, über den Verlauf der Ermittlungen zum Mord an dem bekannten Journalisten Pawel Scheremet. Der gebürtige Belarusse, der sich auch in Russland einen Namen machte, war mit der Gründungsredakteurin von »Ukrainska Prawda« Olena Pritula verheiratet - und wurde am 20. Juli mit ihrem Auto in die Luft gesprengt. Juri Luzenko, Generalstaatsanwalt der Ukraine, ging von Anfang an von einem politisch motivierten Mord aus. Doch Musajewa-Borowik hat mit ihrer Kritik an der Ermittlung Recht: Neue Erkenntnisse haben derzeit weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft.
Das Gericht des Kiewer Perschersk-Bezirk erlaubte dagegen vor einigen Tagen den Ermittlern, die geheime Finanzdokumentation der »Ukrainska Prawda« und des oppositionellen Kanal 17 ausführlich zu prüfen. »Ich weiß nicht, ob das jetzt überhaupt etwas mit der Ermittlung zu tun hat«, sagt Musajewa-Borowik. »Es kann sein, dass die Informationen irgendwann verwendet werden.« Außerdem werden zehn Mitarbeiter des eher prorussischen Kanals 17 von den Ermittlern befragt. Das ist weniger überraschend, dem Sender war es beim Mord an Scheremet zum wiederholten Mal gelungen, als erster vom Tatort zu berichten.
»Der Fall Scheremet ist ein wichtiger Test für die ukrainische Polizei«, betonte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko vergangene Woche. »Ich kann den Mord an Scheremet, den ich persönlich kannte, nicht akzeptieren.« Trotzdem sieht es im Moment nicht danach aus, als ob die Ermittlungen zum Fall Scheremet oberste Priorität hätten, wie es angekündigt worden war. Vielmehr droht der Mord auf die Liste ungelöster Journalistenmorde zu geraten, Das ist auch der Fall bei dem Gründer der »Ukrainska-Prawda«, Georgij Gongadse, der vor 16 Jahren ermordet wurde - vermutlich auf Order des damaligen Präsidenten Leonid Kutschma, was allerdings nie bewiesen wurde.
»Ob ich mit der Lage der Medien in der Ukraine zufrieden bin? Natürlich nicht«, sagt Poroschenko. »Es soll nicht sein, dass sich der Präsident mit einem Angriff auf einen Fernsehsender beschäftigen muss.« Damit sprach Poroschenko den Angriff von Rechtsradikalen auf den Sender »Inter« an, der zu den Top fünf der beliebtesten Fernsehkanäle gehört. Die Besitzer von Inter sind jedoch der umstrittene Oligarch Dmytro Firtasch und Serhij Ljowotschkin, Ex-Präsidialamtschef von Viktor Janukowitsch. Das macht den Sender, der noch immer auf Fernsehprogramme aus Russland setzt und viel auf Russisch sendet, bei den Nationalisten unbeliebt.
Anfang September wurde eines der Gebäude von »Inter« in Brand gesetzt, danach protestierten die Nationalisten einige Tage vor dem Sender. Dieser will sich aber nicht beugen. »Die Informationspolitik wird so bleiben wie sie bisher war«, sagt Nachrichtenchef Olexander Pylypez.
Trotz der Äußerung von Poroschenko wird wegen des Angriffs auf »Inter« nicht angemessen ermittelt - obwohl der Fall viel offensichtlicher als der Mord an Scheremet ist. »Mehr als zwei Wochen sind vergangen, von Ermittlungsergebnissen ist nichts zu hören«, sagt Mychajlo Papytow, Rada-Abgeordneter des Oppositionsbloks. Stattdessen ist nur vom medialen Krieg zwischen »Inter« und »1+1«, Sender des Oligarchen Ihor Kolomojskyj zu hören. 1+1, bekannt durch »patriotische« Berichterstattung, will die Nachrichtenberichterstattung von »Inter« übernehmen.
Während die »Ukrainska Prawda« betont prowestlich ist, versteht sich der Oppositionsblock als Erbe der Politik der einst regierende Partei der Regionen. Beide sind sich aber einig über den Stand von Ermittlungen. Das zeigt vor allem eines: Für Journalisten ist die Hoffnung auf Gerechtigkeit in der Ukraine gering - egal, welche Position sie vertreten.
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