Meister der Grautöne
John Le Carré wird 85 Jahre alt und legt eine autobiografische Textsammlung vor
Es gibt wenige Autoren, die die Vorstellung westlicher Bürger von den Ränkespielen der Geheimdienste zwischen 1945 und 1989 so geprägt haben wie der Brite John le Carré. Er hat scheinbar realistische Blicke durchs Schlüsselloch der antikommunistischen Schlapphüte simuliert und dabei »seine« einsamen, deprimierten und ungesunden Spione aus den Kasinos, Grandhotels und Privatjets Ian Flemings abgeholt und dort platziert, wo sie hingehören: in schimmeligen Amtsstuben, verrauchten Zugabteilen, zugigen Grenzposten - und inmitten schwerster moralischer Dilemmas.
1989 brach nicht nur ein politisches System zusammen, sondern auch le Carrés inhaltliches. Die Befreiung vom Ost-West-Korsett erweiterte seine Themenpalette, ließ den Meister der Grautöne politisch nach links rücken und zu einem kühlen geopolitischen Beobachter werden. An diesem Mittwoch wird John le Carré 85 Jahre alt und gerade hat er die autobiografische Textsammlung »Der Taubentunnel« vorgelegt.
Die Rückkehr der offenen Ost-West-Konfrontation holt den Ex-Spion und Schöpfer des enigmatischen MI6-Agenten George Smiley aus der Sphäre der Nostalgie: Der Kalte Krieg ist nicht nur mit Macht zurückgekehrt - seit 1945 war die Gefahr, dass die Belagerung zwischen Russland und den USA in Mord und Totschlag umschlägt, in keinem Moment so groß wie heute. Auf diese aktuelle Gefahr bieten le Carrés vor 1989 geschriebene Bücher keine Antworten mehr: Die nach 1945 zwischen Warschauer Pakt und West-Block eingeschliffenen (kriegsverhindernden) Regeln und Rituale, an denen sich le Carrés zerknitterte Charaktere noch orientieren konnten, wurden seit der »Wende« vom Westen brüsk aufgekündigt. Dass seine frühen Geschichten nun trotzdem wieder verstärkt thematisiert und teils neu verfilmt werden, ist also weniger einem Streben nach Verständnis der aktuellen Konfrontation geschuldet als dem Gegenteil: Ablenkung durch (beste) Unterhaltung. Der Autor le Carré wird sich von der Renaissance seines (auch vorher nie ganz vergessenen) Namens möglicherweise geschmeichelt fühlen - der wache politische Beobachter in ihm wird die Strategie der Zerstreuung aber leise lächelnd durchschauen.
Le Carré kann hervorragend unterhalten. Doch ihn als reinen Genreautoren auf seine exquisiten Thrillerplots zu reduzieren, tut ihm als Schriftsteller unrecht - er hat seinen Beitrag geleistet, den Politthriller (wie Raymond Chandler und Dashiell Hammett den Noir-Kriminalroman) immerhin in die Nähe anspruchsvoller Literatur zu rücken. »Der Taubentunnel« unterstreicht mit Stilsicherheit, Humor und sympathischer Selbstdistanz diese Verbindung aus sprachlicher Fertigkeit und politischem Durchblick - auch wenn dies keine Autobiografie im eigentlichen Sinne ist, sondern eine lose und nicht chronologische Sammlung exquisiter, in sich geschlossener Anekdoten: von Beschreibungen seiner Zeit in Deutschland über Begegnungen mit Richard Burton, Jassir Arafat, Stanley Kubrick, Andrej Sacharow, Francis Ford Coppola oder Kim Philby bis zu Gedanken über die Natur des Verrats oder (überraschend offenen) Schilderungen des Verhältnisses zu seinem Vater. Man kann das Buch irgendwo aufschlagen und loslesen. Wittert man anfänglich noch Eitelkeiten und Namedropping, so wird dieser Eindruck durch eine konsequente Bescheidenheit und Selbstironie neutralisiert.
Wer sich aber vom ehemaligen Geheimagenten seiner Majestät Indiskretionen zu, oder gar eine Abrechnung mit seiner antikommunistischen Drecksarbeit erhoffte, wird enttäuscht: »Es gibt Dinge, über die ich niemals schreiben werde.« Dazu gehören seine »loyalen und hingebungsvollen« Ehefrauen und jene Dinge über den britischen Geheimdienst, die nicht durch Verbindung mit seiner Fantasie verfremdet wurden: »Ich bin durch Reste altmodischer Loyalität meinen früheren Diensten gegenüber ebenso verbunden wie durch Vereinbarungen, getroffen mit den Männern und Frauen, die mit mir zusammengearbeitet haben.«
Das berührendste Kapitel behandelt das Verhältnis zu seinem schillernden Vater, dem Hochstapler und Kriminellen, der hier nur, etwas befremdlich, »Ronnie« genannt wird. Vater und Sohn hatten sich so entfremdet, dass le Carré schreibt: Wenn Vater und Sohn das Kriegsbeil begruben, »vergaßen wir nie, wo genau es lag«. Graham Greene schreibt, das Guthaben eines Schriftstellers sei seine Kindheit. »Nach dieser Rechnung zumindest bin ich als Millionär auf die Welt gekommen.« Die Mutter hatte die Familie verlassen, als der kleine John fünf Jahre alt war, er lernte sie erst mit 21 Jahren (wieder) kennen. »Doch vom Tag unseres Wiedersehens bis zu ihrem Tode zeigte das eingefrorene Kind in mir nicht die kleinsten Anzeichen des Auftauens.«
Immer wieder blitzt zwischen persönlichen Abgründen und gesellschaftlichen Gipfeltreffen le Carrés politischer Scharfsinn auf, etwa bei einer Szene auf einer Cocktailparty, wo er von einem alten MI6-Kollegen als Nestbeschmutzer beschimpft wird. Le Carré kennt das schon: »Und selten fehlt der mit Armesündermiene vorgebrachte Hinweis, dass der Geheimdienst ja nicht darauf reagieren und sich gegen Verleumdungen wehren könne; dass für seine Erfolge keine Lobeshymnen zu erwarten seien, dass nur seine Misserfolge ans Licht kämen.« Einwickeln lässt sich der ehemalige Insider aber schon lange nicht mehr: »Ich nehme mal an, dass es keinen Geheimdienst in der westlichen Welt gibt, der von seinen Medien mehr umsogt wird als der unsere. ›Embedded‹ trifft es nur unzureichend. Unsere Selbstzensur, ob nun aus eigenem Antrieb oder durch eine vage, drakonische Gesetzgebung angespornt, die Fertigkeit, raffiniert auf unsere Medien Einfluss zu nehmen, und die Tatsache, dass die britische Öffentlichkeit eine umfassende, auf zweifelhafter Legitimität fußende Überwachung einfach so hinnimmt, erfüllen jeden Spion in der freien und unfreien Welt mit blankem Neid.«
John Le Carré: Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Ullstein, 384 S., geb., 22 €.
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