Verspätete Einsichten
Gabriele Oertel ist gespannt auf die Aufarbeitung der Nachwendezeit im Osten
Dass wir das noch erleben dürfen. Die sächsische SPD-Gleichstellungsministerin Petra Köpping will die Versäumnisse der Nachwendezeit im Osten aufarbeiten. Bislang sei es ein politisches Tabuthema gewesen, offen über den sozialen Abstieg vieler Menschen vor mehr als zweieinhalb Jahrzehnten zu diskutieren. Das mag für Sachsen im Speziellen sogar zutreffen und für die SPD im Allgemeinen vielleicht auch. Aber es ist dennoch eine Mär, dass die Abwicklung einer ganzen Volkswirtschaft, das Ausbluten diverser Regionen oder die Abwertung von Biografien ehemaliger DDR-Bürger nicht öffentlicher Diskussionsstoff gewesen wären. Es sind aus diesen Debatten nur keine oder falsche politische Folgerungen gezogen worden. Helmut Kohl setzte auf den Faktor Zeit, Gerhard Schröder hat sich für die neuen Bundesländer nur zu Wahlkampfzeiten interessiert - und auch Angela Merkel hat die Nachwehen einer verfehlten Vereinigung unterschätzt. Nun, da Politikverdrossenheit um sich greift, Wutbürger den Aufstand proben und rechte Gewalt zur Bedrohung wird, beginnt die Erklärungssuche. Und zwar nach der Devise, ob der Delinquent womöglich eine schwere Kindheit hatte. Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Wiewohl eine ehrliche Aufarbeitung des Nachwendegeschehens längst überfällig ist - die Mehrheit der Einheits-Opfer für die besorgniserregende Entwicklung im einig Vaterland verantwortlich zu machen, ist zu billig.
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