Berlin. Wird das Bundeswehr-Mandat für den Stützpunkt Incirlik verlängert? Nach der Verhaftungswelle gegen Journalisten und die linkskurdische HDP wird die Abstimmung zur Nagelprobe für die Ernsthaftigkeit der Kritik am autoritär agierenden Machthaber Recep Tayyip Erdogan in Ankara. Doch die Große Koalition steuert auf eine Verlängerung des Mandats zu und wird den Bundeswehr-Einsatz in der Türkei wohl nicht vorzeitig beenden. Nach Informationen der »Berliner Zeitung« wird in der schwarz-roten Koalition inzwischen aber erwogen, die Abstimmung im Bundestag zunächst zu verschieben.
Momentan gehe der Kampf der internationalen Allianz gegen die Dschihadistenmiliz IS »in die Endphase«, und deshalb »dürfen wir die internationale Allianz nicht im Stich lassen«, sagte Unionsfraktionsvize und Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) der »Berliner Zeitung«. Nun sei es Zeit für diplomatischen Druck auf die Türkei, sagte Jung weiter. Die Bundeswehr dürfe aber noch nicht vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik abgezogen werden. Er rechne bei der für Donnerstag geplanten Abstimmung im Bundestag über eine Verlängerung des Einsatzes mit einer Mehrheit. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, sagte, die Bundesregierung müsse sich eine Abzugsoption aus Incirlik zumindest offen halten. »Ich würde es für gut halten, wenn die Kanzlerin und das Verteidigungsministerium die möglichen Varianten fertig ausgeplant in der Schublade haben, so dass man notfalls schnell entscheiden kann und nicht von den Türken abhängig wird«, sagte er der Zeitung.
Der Linkenpolitiker Stefan Liebich sagte dem Blog semiosis.at[1], »die Regierungen von Deutschland, den USA und anderen müssen die militärische Zusammenarbeit mit dem Erdogan-Regime sofort stoppen«. Es könne »niemand mehr übersehen, dass die Türkei sich vom System einer parlamentarischen Demokratie verabschiedet«, so der Außenexperte. Er nannte es »die Verpflichtung von OSZE und NATO, ihrem Mitgliedsland klar zu sagen«, dass der spätestens seit dem gescheiterten Putschversuch vom Sommer eingeschlagene Weg »falsch ist«.
Auch die Vorsitzenden der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, forderten die Bundesregierung auf[2], »jetzt konsequent« zu handeln. Es reiche »nicht aus, lediglich seine Besorgnis kund zu tun.«, erklärten die beiden Abgeordneten. »Die Bundeswehr muss aus der Türkei abgezogen werden.« Zuvor hatte schon der Linkenabgeordnete Jan van Aken seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass sich bei der geplanten Abstimmung keine Mehrheit für eine Verlängerung und Erweiterung des Mandats für diesen Einsatz der Bundeswehr finden werde.
Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir stellt angesichts der Lage in der Türkei den Bundeswehreinsatz in Incirlik in Frage. »Spätestens jetzt, wo in der Türkei immer klarer die Verwandlung von der Demokratie in die Diktatur stattfindet, steht dieser Bundeswehreinsatz auf dem Prüfstand«, sagte Özdemir. Er sehe gegenwärtig nicht, auf welcher Grundlage sich deutsche Soldaten in Incirlik aufhalten könnten, sagte Özdemir. Angesichts der Bilder sehe er »große Fragezeichen« hinter der Verlängerung des Einsatzes.
Auch der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, fand deutliche Worte. »Ich würde zur Mandatsverlängerung selbstverständlich Nein sagen«, sagte er der »Mitteldeutschen Zeitung«. Die Bundesrepublik habe sich »schon beim Flüchtlingsdeal in die Hand der Türkei begeben. Wir dürfen das in Incirlik nicht schon wieder tun. Das ist auch eine Frage der Selbstachtung. Denn die Maßnahmen, die jetzt getroffen werden, sind Maßnahmen eines totalitären Systems«, so Kujat. Agenturen/nd