Bockwurst gegen Hot Dog
Bestensees Volleyballer hoffen im Derby gegen Berlin auf volle Ränge und eine Sensation
Elf Jahre lang spielte Arvid Kinder Volleyball für die Netzhoppers KW-Bestensee. Als er im Sommer 2015 aufhörte, wechselte er von der Umkleidekabine ins Büro des Geschäftsführers. Wenn seine Mannschaft nun in der heimischen Arena spielt, bekommt er nur noch selten etwas davon mit. »Ich bin dann überall unterwegs, rede mit Leuten und schaue nach Problemen«, sagt der 36-Jährige. Da kommt es schon mal vor, dass er beim größten Spiel der Vereinsgeschichte, dem Pokalhalbfinale gegen den VfB Friedrichshafen Ende November, in der Kantine sitzt und mit Bestensees Bürgermeister Klaus-Dieter Quasdorf darüber sinniert, warum die Halle leider wieder nur halb voll ist.
»Die Euphorie des Aufstiegs von 2006 ist ein wenig verflogen. Wenn man in zehn Jahren nicht einmal gegen die Großen gewinnt, kommen die Fans nicht mehr zu solchen Spielen«, sagt Kinder, dessen Mannschaft an diesem Samstag wieder einen dieser Großen erwartet. Die Halle dürfte diesmal aber etwas voller werden, denn die Fans des Gegners Berlin Recycling Volleys haben keine besonders lange Anreise in den Speckgürtel der Hauptstadt.
Doch nicht nur wegen der geografischen Nähe ist das Duell Berlin gegen Bestensee ein reizvolles, denn hier trifft aufeinander, was die Deutsche Volleyball-Liga gewissermaßen als neuen und alten Volleyball einstuft. Seit Jahren versucht die DVL, in die großen Hallen der großen Städte umzuziehen. Statt Bockwurst in Mendig, Moers oder Wuppertal soll der Hot Dog in Frankfurt am Main, München und Berlin serviert werden. Das Eventpublikum wird gesucht.
Doch außer bei den Berliner Volleys und den noch recht neuen United Rhein-Main Volleys in Frankfurt will der Sprung ins große Becken nicht so recht gelingen. Noch immer kommen die meisten Teams aus Kleinstädten wie Bühl und Düren, manchmal gar aus etwas größeren Dörfern wie Herrsching oder eben Bestensee. Hier feuern die Anhänger noch mit »Punkten, punkten!« an, und nicht mit »Mein Block, mein Block, mein Block«, unterstützt von Sido aus der mp3-Konserve. »Wir bilden nicht bewusst den Gegenpol, aber wir können nicht in die nächste Großstadt ziehen, da es in Berlin schon die Volleys gibt«, sagt Kinder. »Ich denke zudem, dass Volleyball immer in Regionen beliebt sein wird, in denen es nicht schon Fußball, Handball und Basketball gibt.«
Auf das Berliner Umland trifft dies besonders zu. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich die Netzhoppers mit Ausnahme eines wegen Lizenzproblemen erzwungenen Zweitligajahres seit zehn Jahren in der Bundesliga halten. »Es war ein schwieriger Prozess, aber wir sind jetzt so weit, dass wir wirtschaftlich wieder solide arbeiten können«, sagt Kinder, der plötzlich sogar ehemalige Nationalspieler wie Björn Andrae und Dirk Westphal zu einem Wechsel überreden konnte.
Westphal wechselte zwar im Herbst doch noch zu einem iranischen Verein, Andrae ist geblieben - und dabei half die Nähe zu Berlin. »Für mich war der Zeitpunkt gekommen zurückzukehren. Meine Familie lebt hier, hier will ich alt werden«, beschreibt der 35-Jährige die Beweggründe. »Ich hatte immer mal Kontakt mit KW, wir haben rumgealbert, dass ich ja meine Karriere hier beenden könnte. Und da ich nicht mehr international spielen wollte, wurde aus dem Spaß nun Realität.«
Da der Verein großen Wert auf die Vereinbarkeit des Sports mit Studium oder Ausbildung der jungen Spieler legt, sei der Trainingsaufwand nicht mehr so hoch wie in Italien, Polen oder Russland, wo Andrae im vergangenen Jahrzehnt überall spielte. »Und ich bin sicherlich auch nicht hergekommen, um reich zu werden. Der Gesamtetat von KW reichte bei meinem letzten russischen Verein für einen Spieler«, sagt er. Der VK Kusbass Kemerowo kam in Russlands Superliga übrigens noch nie über Platz sechs hinaus, gehört also nicht mal zur nationalen Spitze. Trotzdem sei er nun glücklicher als je zuvor. »Die Arbeit mit den jungen Spielern macht Spaß. Und in den letzten Jahren habe ich Weihnachten oft verpasst. Das brauche ich jetzt nicht mehr.«
Andrae pendelt am Tag insgesamt 120 Kilometer von Berlin nach Bestensee und zurück, und er ist nicht der einzige. Selbst die meisten jungen Spieler, oft Schüler oder Studenten, pendeln. »In unserer ersten Sechs stehen zwei Spieler, die wir aus der eigenen Jugend hochgezogen haben«, sagt Arvid Kinder. »Aber wir profitieren auch von der Nähe zum VCO Berlin.«
Der zweite Berliner Bundesligist ist im Grunde die Juniorennationalmannschaft. Wer aus dem Alter raus ist, muss sich einen anderen Verein suchen, und will er in der Gegend bleiben, landet er schnell bei den Netzhoppers. »Wir haben uns zudem auf die Fahne geschrieben, junge Spieler zu fördern, und dazu mit Mirko Culic auch den passenden Trainer«, sagt Kinder.
Friedrichshafen und die BR Volleys haben einen Jahresetat von mehr als zwei Millionen Euro, KW nicht mal ein Viertel davon. »Da ist es schwer, ganz vorn mitzuhalten«, räumt er selbst seinem Team im Derby keine großen Chancen ein. Und sollte die Sensation doch gelingen, wird ihm die Bockwurst ohne Brot, Gewürzgürkchen und Röstzwiebeln sicher doppelt so gut schmecken.
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