Löcher im »ewigen« Eis

Das Meereis vor der Ostantarktis könnte anfälliger für den Klimawandel sein als in bisherigen Modellen angenommen. Von Ingrid Wenzl

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 4 Min.

Als eine Gruppe internationaler Wissenschaftler vor zwei Jahren im Roi-Baudouin-Schelfeis in der Ostantarktis eine ringförmige Bruchstelle entdeckte, vermutete sie zunächst, es handele sich um den Krater eines Meteoriteinschlags. Tatsächlich handelt es sich jedoch - wie der belgische Forscher Jan Lenaerts und seine Kollegen in ihrer jüngst veröffentlichten Studie im Fachjournal »Nature Climate Change« (DOI: 10.1038/nclimate3180) zeigen konnten - um eine sogenannte Eisdoline. Derartige Krater entstehen aus einer großen Ansammlung von Schmelzwasser auf oder in einem Gletscher: Nachdem seine Oberfläche wieder gefroren ist, kann das Wasser darunter abfließen. Zurück bleibt ein Hohlraum im Gletscher, dessen Eisdecke schließlich einstürzt und einen Krater zurücklässt.

Das Phänomen der Eisdolinen ist von der Antarktischen Halbinsel oder aus Grönland bereits seit den 1930er Jahren bekannt. In der deutlich kälteren Ostantarktis war dergleichen bislang unbekannt. Sein Auftreten begründet Olaf Eisen, Glaziologe am Alfred Wegener Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Coautor der Studie, mit dem Auftreten kalter Winde, die hier besonders stark vom Hochplateau Richtung Küste blasen: »In der Grenzschicht sind sie sehr kalt, darüber liegt wärmere Luft. Am Übergang zwischen dem steil abfallenden Festlandeis und dem Schelfeis (über die Küstenlinie ins Wasser hinausragende Gletscher - d. A.) bildet sich ein Knick, der für eine stärkere Durchmischung sorgt. So gelangt Wärme an die Oberfläche des Eises.« Die föhnartigen Winde verwehen zudem den Schnee, blankes Eis bleibt zurück. Aufgrund seiner dunkleren Farbe absorbiert dieses mehr Sonnenenergie als der Schnee. So entstehen im Randbereich der Ostantarktis zahlreiche Gletscherseen und Schmelzwasserflüsse, die sich ihren Weg Richtung Küste bahnen.

Lange hielt man die Ostantarktis für deutlich stabiler als den Westen des Kontinents. Doch das hat sich geändert: »Bereits in unserer Studie vor zwei Jahren haben wir die Hypothese aufgestellt, dass dieser Teil des Kontinents viel dynamischer ist als bislang angenommen«, erläutert Matthias Mengel vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). »Seitdem haben verschiedene Arbeiten diese These unterstützt.« Bereits im März dieses Jahres hatten Roert de Conto und David Pollard in der Fachzeitschrift »Nature« (DOI: 10.1038/nature17145) darauf hingewiesen, dass das Zerbrechen von Schelfeis durch Schmelzwassereintrag (Hydrofracturing) eine wichtige Rolle für den zukünftigen Eisverlust der Antarktis spielen könnte. »Die neue Studie zeigt nun, dass der Schmelzwassereintrag und Hydrofracturing in der Ostantarktis verbreiterter sind als bisher gedacht«, so Mengel.

Das ist vor allem deshalb dramatisch, weil dem Schelfeis für die Stabilität des Eisschildes eine große Bedeutung zukommt, denn es hält das nachfließende Inlandeis zurück. »Das ganze System befindet sich möglicherweise an einer Grenzschwelle«, warnt AWI-Forscher Eisen, »wenn es mehr warme Sommer gibt, weitet sich die Schmelzfläche aus. Dadurch könnte das Schelfeis instabiler werden und schließlich auseinanderbrechen.«

Wie eine weitere, ebenfalls in dieser Woche in »Nature« (DOI: 10.1038/nature20582) veröffentlichte Studie zeigt, variierte das Antarktische Eisschild bereits in den letzten 8000 Jahren. Schuld daran seien vor allem kleinere natürliche Temperaturschwankungen im tieferen Ozean. »Steigt die Ozeantemperatur, bringt das das Eisschild unter der Oberfläche zum Schmelzen und erhöht die Zahl der abbrechenden Eisberge«, erklärt Coautor Andreas Schmittner von der Oregon State University in Corvallis. Gleichzeitig breitet sich das Meereis in den wärmeren Perioden im Südlichen Ozean aus. Dieses scheinbare Paradox erklären die Verfasser der Studie damit, dass das salzarme Schmelzwassser wegen seiner geringen Dichte obenauf schwimmt und zudem leichter friert.

Umgekehrt, so die Forscher, könnten aber auch Veränderungen des Südeisschildes die globale Erderwärmung verstärken. Obwohl weit von der Antarktis entfernt, hätte eine größere Eisschmelze dort weitreichende Folgen für uns: So könnte eine erhöhte Schmelzwasserzufuhr die Ozeanzirkulation abschwächen oder sogar zum Erliegen bringen und einen signifikanten Anstieg des Meeresspiegels verursachen. Schnee- und eisfreie Flächen verstärken aufgrund ihrer dunkleren Farbe zudem noch die Erwärmung der Atmosphäre.

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