Staatsdoping? In Russland doch nicht! Selbstbewusst hatte Kremlchef Wladimir Putin vor einer Woche bei seiner Jahrespressekonferenz noch alle Vorwürfe abgeschmettert, die sich aus dem zweiten Teil des McLaren-Berichts der Welt-Antidoping-Agentur WADA ergaben: 1000 russische Spitzenathleten, die von 2011 bis 2015 gedopt oder zumindest von einem Dopingvertuschungssystem profitiert haben sollen - staatlich orchestrierter Sportbetrug. »Russland hatte niemals ein Staatsdopingsystem«, hatte Putin erklärt. »Das ist einfach unmöglich, und wir tun alles Mögliche, um Doping zu verhindern.«
Am Dienstagabend hatte es indes plötzlich den Anschein, als würden Russlands Sportfunktionäre plötzlich eine Kehrtwende in ihrer Argumentation vollführen: Die »New York Times« verkündete, Russland bestreite nicht länger »eine der größten Verschwörungen der Sportgeschichte« und zitierte Anna Anzeljowitsch, die amtierende Chefin der russischen Antidoping-Agentur RUSADA. »Es war eine institutionelle Verschwörung«, sagt Anzeljowitsch in dem Bericht der Zeitung.
Die RUSADA fiel nach den Einlassungen ihrer kommissarischen Leiterin zunächst einmal in Schockstarre, raffte sich aber am Mittwochnachmittag zu einem Dementi auf: Die Times habe die Äußerungen von Anzeljowitsch aus dem Zusammenhang gerissen und entstellt. Anzeljowitsch habe den amerikanischen Journalisten lediglich erklären wollen, dass Richard McLaren selbst den Begriff »Staatsdoping« im zweiten Bericht vermeiden wollte und dass dort daher nur noch von »institutioneller Verschwörung« die Rede gewesen sei. Die Autoren hätten versucht, dies als Schuldeingeständnis zu interpretieren.
Auch der neue Sportminister Pawel Kolobkow und Putins Sprecher Dmitri Peskow warfen der Zeitung willkürliche Interpretation vor. Russland, so der Kremlsprecher, habe stets bestritten, dass »der Staat und seine offiziellen Strukturen« in die Manipulationen involviert sind. Sportminister Kolobkow merkte zudem an, die RUSADA-Chefin sei keine Staatsbedienstete. Sie hätte in dem Bericht nicht als Vertreterin der russischen Sportpolitik herhalten dürfen.
Empört zeigte sich auch die mehrfache Olympiasiegerin und Weltmeisterin im Eisschnelllauf Swetlana Schurowa, die mit Mandat der Regierungspartei »Einiges Russland« in der Duma sitzt. Es gebe Dopingseilschaften von Sportlern, Trainern und Medizinern. Das sei jedoch deren individuelle Entscheidung und kein Staatsprogramm. Ein solches würde durch den russischen Staatshaushalt finanziert. Fördermittel für den Sport seien dort detailliert und transparent ausgewiesen. Von Doping stehe da aber nichts.
Der Druck auf Russland ist seit den WADA-Berichten immens, in etlichen internationalen Sportverbänden werden Maßnahmen gegen die russischen Nationalverbände und ihre Athleten erwogen. Wohl auch deswegen hatte der russische Skiverband am Dienstag die Namen von sechs Athleten veröffentlicht, die laut McLaren-Bericht in Sotschi 2014 bei Olympia gedopt gewesen sein sollen. Mittlerweile haben die Athleten um Olympiasieger Alexander Legkow in Eidesstattlichen Erklärungen ihre Unschuld erklärt und zugleich Klagen angedroht.
Die verantwortliche Times-Reporterin Rebecca Ruiz versicherte derweil auf Twitter, die Zitate in ihrer Story seien korrekt: »Die russischen Beamten sagten mir, dass sie nicht mehr die Existenz von Dopingsystemen bestreiten, sondern nur, dass diese Systeme staatlich gefördert wurden.« Auch Witali Smirnow, Antidopingbeauftragter der russischen Regierung, habe ihr dies bestätigt.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1036805.erst-kommt-die-einsicht-dann-das-dementi.html