Der Besuch währte nur einen Nachmittag lang. Am 29. Juli 1957 weilte Ho Chi Minh, Vater der Unabhängigkeit und Präsident der Demokratischen Republik Vietnam, bei Landeskindern, die im sächsischen Moritzburg im damaligen Kinder- und Jugendheim »Käthe Kollwitz« lebten. Sie gehörten zu einer Gruppe von 350 Kindern zwischen neun und 15 Jahren, die zwei Jahre zuvor in die DDR gesandt worden waren, um dort sicher und in Ruhe lernen zu können.
Fotos jenes Sommernachmittags zeigen den »Onkel Ho« genannten Präsidenten neben dem SED-Politiker Otto Buchwitz im Kreise lachender Kinder. Deren Aufenthalt fern der Heimat endete bereits zwei Jahre später. Viele der »Moritzburger«, wie sie sich nennen, halten aber bis heute Kontakt. Im Jahr 2005, zum 50. Jahrestag ihrer Entsendung in die DDR, trafen sich viele von ihnen auf Initiative eines Vereins noch einmal in Moritzburg.
Kurz vor dem im Jahr 2017 anstehenden 60. Jahrestag des Besuchs von Ho Chi Minh in dem Ort erinnerte man sich dort erneut an das Thema. Die vietnamesische Episode in der Geschichte Moritzburgs sei ein »spannendes Kapitel der Völkerverständigung«, schrieb Jörg Hänisch, Bürgermeister der Gemeinde unweit von Dresden, im Herbst 2015 im Gemeindeblatt. Allerdings war es in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend dem Vergessen anheim gefallen: Ein Erinnerungsort auf dem Gelände des früheren Kinderheims und heutigen evangelisch-lutherischen Diakonenhauses bot einen eher tristen Anblick; eine Bronzetafel, die an den Besuch Ho Chi Minhs bei den Kindern erinnerte, hatte man entfernt.
Das sollte sich ändern - vor allem auf Betreiben zweier in der Bundesrepublik lebender Geschäftsleute aus Vietnam, die sich des Areals annehmen wollten. Sie schlossen mit dem Eigentümer einen Pachtvertrag ab; die rund 1000 Quadratmeter große Grünanlage wurde neu gestaltet, Granitsäulen saniert, Wege frisch gepflastert. Die Initiatoren hegten indes noch weiter gehende Pläne. In einem kleinen Pavillon - die Rede war auch von einer Bambushütte - sollten Zeitdokumente aus den 50er Jahren präsentiert werden. Das Vorhaben wurde am 18. Mai 2016 sogar dem nach Moritzburg gereisten vietnamesischen Botschafter erläutert. Eingeladen hatte ihn der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Lämmel aus Dresden, der im Jahr zuvor mit einer Delegation nach Vietnam gereist war und dort auch ehemalige »Moritzburger« getroffen hatte. Diese hielten Beziehungen zu Deutschland aufrecht, lobte er und zeigte sich in einer Pressemitteilung daher »froh, dass der Botschafter meine Einladung angenommen hat«.
Der Wirtschaftspolitiker Lämmel wie auch der Bürgermeister träumten offenbar bereits von Gruppen vietnamesischer Touristen, die in den Ort pilgern würden. Er habe, erklärte Hänisch deshalb im Juni 2016 im Gemeindeblatt, seine »Unterstützung für das Vorhaben zusagen« können. Auch etliche Dokumente für die geplante Ausstellung wurden übergeben.
Womit beide aber wohl nicht gerechnet hatten: Die Pläne stießen auf energischen Widerstand - nicht zuletzt bei Parteifreunden Lämmels. Die Ortsgruppe der CDU merkte an, Ho Chi Minh habe 200 000 politische Gegner in Straflager stecken lassen, und forderte: »Kein Personenkult für einen kommunistischen Diktator!« Die Formulierung unterschied sich kaum von jener der AfD-Landtagsabgeordneten Kirsten Muster, die verlangte: »Kein Erinnerungsort für einen kommunistischen Diktator!«
Wortgewaltigste Anführerin des Protestes war eine Kollegin Lämmels: die CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld. Sie warnte, in dem Gedenkort solle ein »völlig unkritisches Bild eines Massenmörders demokratisch geadelt« werden, und sprach von einer »staatsvietnamesischen Propagandashow«. Diese zu verhindern, sei nicht weniger als eine »Nagelprobe für unsere Demokratie«.
Allerdings stießen sich nicht nur rechtskonservative deutsche Politiker an dem Vorhaben, sondern auch Teile der vietnamesischen Gemeinde in der Bundesrepublik - namentlich Gruppen von Flüchtlingen, die ein deutlich ablehnenderes Verhältnis zu Ho Chi Minh pflegen. Aus diesen Kreisen wurde eine Petition lanciert, die anmerkte, es habe sich bei den in die DDR geschickten Kindern um Sprösslinge von »Kadern« gehandelt, die zudem mitnichten vor dem Krieg in Sicherheit gebracht werden mussten: Dieser habe im Norden Vietnams erst 1964 begonnen. Die Petition forderte von den Verantwortlichen, die Pläne zu beerdigen, und fand 1865 Unterschriften.
Zumindest aus Sicht von Lengsfeld scheint die »Nagelprobe« bestanden zu sein; schließlich zeitigte der erhebliche Gegenwind in der kleinen Gemeinde deutliche Wirkung. Zwar mahnte Bürgermeister Hänisch noch im Juli, es sei »nicht an uns, die Geschichte des Vietnamkrieges und der Zeit danach in Gut und Böse einzuteilen«. Auf Anfrage des »nd« verwies er damals indes bereits auf eine nach dem Sommer geplante Befassung des Gemeinderats mit dem Thema, bei der »auch kritische Stimmen« zu Wort kommen sollten. Inzwischen hat sich laut der »Sächsischen Zeitung« zwar der Technische Ausschuss des Gemeinderates mit dem Bauantrag der vietnamesischen Geschäftsleute für den Pavillon sowie einen begrünten Zaun um das Areal befasst. Offiziell will man mit dem Thema aber nicht mehr konfrontiert werden. Zwei Nachfragen des »nd« zum derzeitigen Stand der Dinge ließ der Bürgermeister unbeantwortet.
Im Büro des Abgeordneten Lämmel wird auf eine lokale Entscheidung verwiesen, »keine weiteren Initiativen zu unterstützen«. Damit sei die Angelegenheit »momentan abgeschlossen«. Selbst äußern wolle sich der CDU-Politiker in der Sache nicht mehr. Er lässt nur anmerken, dass die Initiative für den Gedenkort gar »nicht maßgeblich« auf ihn zurückgehe. Und auch andere Äußerungen deuten darauf hin, dass zumindest die Pläne für einen Pavillon samt kleiner Ausstellung hinfällig sind. Jens Knechtel, der Verwaltungsleiter des Diakonenhauses Moritzburg, teilte auf Anfrage mit, es werde in der Gemeinde nicht nur »keinen Ort geben, wo ein neues Ho-Chi-Minh-Denkmal errichtet wird«; es seien darüber hinaus auch »keine baulichen Maßnahmen genehmigt, die über die derzeitige landschaftliche Gestaltung hinausgehen«. Einen »eventuell beabsichtigten Personenkult« lehne man ab.
Andererseits merkte der Verwaltungschef an, ein »biografischer Erinnerungsort« für die Schüler, die in der damaligen Internatsschule gelebt hätten, habe sicher seine »ganz persönliche Berechtigung«. Die Frage, ob und in welcher Form eine Initiative von Vietnamesen die kleine Anlage pflege, sei aber derzeit »völlig offen«.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1037011.kein-pavillon-fuer-onkel-ho.html