nd-aktuell.de / 21.01.2017 / Kultur / Seite 9

Die Heimatlosen

Auch Linke setzen merkwürdige Hoffnungen in Trump

Tobias Riegel

In George Orwells »1984« sagt die innerlich widerständige Protagonistin, die sich nach außen hin als extrem angepasst gibt: »Wenn man die kleinen Regeln beachtet, kann man die großen brechen.« Bei Trump verhält es sich möglicherweise andersherum. Da sein stärkstes politisches Kapital darin besteht, dass er als »Außenseiter« gilt, gefällt er sich darin, die »kleinen« Regeln medienwirksam mit Füßen zu treten: Es gibt kaum ein in Jahrzehnten eingeschliffenes Ritual der öffentlich-politischen Kommunikation der USA, das nicht in den letzten Monaten von Trump bewusst und mit großem Hallo gebrochen wurde. Erstaunlich viele Menschen - und auch manche Linke - pflegen angesichts dieser öffentlich zelebrierten »Angriffslust« Hoffnungen, dass Trump tatsächlich mit dem Willen antritt, auch die »großen« Regeln zu brechen, also die »wahren Machtstrukturen« (Pentagon, Geheimdienste, Finanzsystem) anzugreifen. Ohne dadurch Trumps diskreditierte und nicht minder durchtriebene Gegner bei CIA oder Demokratischer Partei zu Lichtgestalten zu erklären: Die »linken« Hoffnungen in Trump könnten in ein bitterböses Erwachen münden, wenn sich herausstellt, dass der »Feind des Establishments« jenes Establishment nicht nur unbehelligt lässt, sondern die alten, unangetasteten Machtstrukturen nutzt, um im Schatten seiner rein verbalen Pseudo-Attacken ein noch verwerflicheres Regime zu installieren.

Zugegeben: Trumps Angriffe gegen die US-Medien »CNN« und »Buzzfeed« bei seiner letzten Pressekonferenz waren erstaunliches, absurdes Theater mit Unterhaltungswert. Zum einen assoziiert man es eher mit der Ukraine oder der Türkei, wenn sich hochrangige Politiker und Journalisten öffentlich anschreien. Zum anderen waren Trumps Vorwürfe gegen »CNN« (»Ihr seid Fake-News!«) alles andere als weit hergeholt, und vielen Menschen tut es offensichtlich gut, wenn ihre (nicht unbegründete) Verachtung für große Teile des Medienmainstreams auf der Weltbühne formuliert wird - selbst wenn der, der sie ausspricht, dies aus niederen Beweggründen tut, etwa um sich als Feind eines »Establishments« zu tarnen, dessen Profiteur er ist.

Und dennoch war die Szene bei der Pressekonferenz nicht mehr als eben Theater: ein geschickter, aber billig zu habender Tabubruch, der nichts über Trumps tatsächliches »subversives« Potenzial aussagt. Aber der Beifall für die Rüpeleinlage, der beileibe nicht nur vom AfD-Klientel kommt, sagt etwas darüber aus, wie kläglich »linke« Strukturen versagt haben, indem sie eine offensichtlich begründete Medien-, NATO- und Finanzmarktkritik viel zu lange gar nicht, oder nur handzahm formuliert haben. In der selektiven, oft heimlichen Trump-Sympathie von auch nachdenklichen Menschen spiegelt sich das ganze Ausmaß und auch das Drama der Heimatlosigkeit, in die westliche Pazifisten und Finanzmarktkritiker durch die Nichtformulierung ihrer Positionen getrieben wurden.

Außer mit Medienkritik wildert Trump in »linken« Gefilden (wie auch immer die sich in Zeiten der dreisten Begriffsumdeutung noch definieren) vor allem mit seiner Charmeoffensive gegenüber Russland und der dadurch entstehenden Aussicht auf außenpolitische Entspannung. Auch diese Hoffnungen könnten sich als trügerisch erweisen. Zum einen ist das Zustandekommen einer Achse Trump-Putin alles andere als ausgemacht und selbst wenn, ist das Bild dieses Duos, das den Rest der Welt unter sich aufteilt, nicht gerade verführerisch. Zum anderen ist die angeblich angestrebte Entspannung mit Russland ja nur eine Seite der trumpschen Außenpolitik. Von den Menschen, die mit dem künftigen US-Präsidenten eine Hoffnung auf internationale Friedenspolitik verbinden, werden etwa die von Trump neu aufgelegten heftigen Aggressionen gegen Iran und China geflissentlich ignoriert. Das ist ebenso merkwürdig und heuchlerisch, wie wenn ausgerechnet die feurige Kriegstreiberin Hillary Clinton ihrem Kontrahenten im Wahlkampf ein Spiel mit dem außenpolitischen Feuer und eine Obsession mit dem »Roten Knopf« unterstellen wollte. Oder wenn Barack Obama, unter dem mehr Immigranten abgeschoben wurden als unter jedem anderen US-Präsidenten, seinem Nachfolger dessen unbestreitbaren Rassismus unter die Nase reibt.

Und so geistern sich diametral widersprechende Modelle Trumps durch die Glaskugeln der Propheten sowohl des Medienmainstreams als auch der »Antimedien« im Internet. Offensichtlich bietet der Immobilien-Milliardär (noch) eine dermaßen breite Projektionsfläche, dass sich jeder Beobachter sein eigenes, zur jeweiligen Agenda passendes Trump-Bild basteln kann: irgendwo zwischen subversivem Pazifisten und rassistischem Atomkrieger. Mein Trump, dein Trump - Trump ist für uns alle da.