nd-aktuell.de / 29.01.2007 / Wirtschaft und Umwelt
Ein Leben in Harmonie mit der Natur
Erinnerungen an den Nestor des ostdeutschen Naturschutzes, Kurt Kretschmann
Günter Queißer
Am letzten Wochenende ist in Bad Freienwalde der Nestors des ostdeutschen Naturschutzes, Kurt Kretschmann, kurz vor seinem 93. Geburtstag verstorben.
Als wir uns vor gut zwei Jahren zum letzten Mal in seinem Mulchgarten in Bad Freienwalde trafen, lag - wie immer - ein Zettel auf dem Tisch vor der Wohnungstür. Darauf mit großen Buchstaben: »Wenn Besuch kommt, bitte mich wecken. Alle Türen sind offen.« So war Kurt Kretschmann, der Nestor des ostdeutschen Naturschutzes. Vertrauen zu allen, die es gut mit der Natur meinten und die Interesse für seine gärtnerischen Erfahrungen zeigten. Da ließ er sich auch mal beim Mittagsschlaf stören. Nach dem Tod seiner Frau Erna vor sieben Jahren lebte er zunächst allein, wurde von Tochter und Schwiegersohn versorgt, fand schließlich sein Domizil im Bethesda-Seniorenzentrum in Bad Freienwalde, wenige Schritte vom »Haus der Naturpflege« entfernt.
Hunderte besuchten jedes Jahr seinen Mulchgarten. Geduldig erklärte der schon Erblindete seine Methode naturnahen Gärtnerns - ohne tierischen und mineralischen Dünger, ohne Pflanzenschutzmittel, ohne große Technik, aber mit einer dicken Mulchdecke auf Beeten und Wegen. Er war überzeugt: Mulch total - das ist der Garten der Zukunft. So heißt auch das Buch, das er zusammen mit seinem Freund Rudolf Behm verfasste und das mehrere Auflagen erlebte. Mulch total war die logische Fortsetzung des naturnahen Gärtnerns, das ND-Leser schon 1988 in einer Artikelserie von Kurt Kretschmann kennen lernten. Die Leserresonanz darauf war so groß, dass sich die Redaktion entschloss, die Beiträge zu einer Broschüre zusammenzufassen. Das Vorwort dazu schrieb Michael Succow, damals Vize-Umweltminister in der Modrow-Regierung und Initiator des Nationalparkprogramms.
Der Garten war für Kurt Kretschmann und auch für seine Frau Erna »praktizierter Naturschutz vor der Haustür« aber zugleich Ihr »Sanatorium«. Er lieferte ihnen, die über 75 Jahre Vegetarier waren, gesunde Nahrung, und er schenkte ihnen Lebensfreude und Glück. Kurt hatte bis in seine letzten Tage nichts von seiner geistigen Frische verloren, verfolgte hellwach die politischen Geschehnisse. Und er schrieb im Heim weiterhin Gedichte.
Kurt Kretschmann wurde 1914 in einer Berliner Arbeiterfamilie geboren, lernte in einer Kleiderfabrik Zuschneider und fand schnell Kontakt zur Antikriegsbewegung. Als er 1933 Wehrmachtsuniformen für die Nazis fertigen sollte, weigerte er sich und verlor so seine Arbeit. 1936 wird Kurt zur Wehrmacht eingezogen. Die entlässt ihn »wegen zersetzenden Einflusses« zunächst als wehruntauglich, er kommt in ein Arbeitslager, muss schließlich doch in den verhassten Krieg ziehen. Im Februar 1945 desertiert er, verbirgt sich wochenlang in einem Erdloch, überlebt nur dank des mutigen Einsatzes seiner Frau Erna. Seine Kriegserlebnisse beschreibt er in seinem Buch »Zehn Jahre Kampf und Widerstand gegen den deutschen Militarismus«, das jedoch in der DDR ungedruckt bleibt. Sein Pazifismus stößt hier auf wenig Gegenliebe. So widmet er sich einem anderen Thema: dem Schutz der Natur. Er wird 1949 Kreisnaturschutzbeauftragter, radelt Tausende Kilometer durchs Land, erfasst bedrohte Tierarten, kartiert Alleen, wendet sich gegen die Bebauung von Seeufern. In dieser Zeit kommt ihm die Idee mit der Eule als Naturschutzsymbol. Mit dem Naturschutzgesetz erhält 1954 das Zeichen mit der Eule Gesetzeskraft in der DDR, und 1992 entscheiden sich die Umweltminister der westlichen Bundesländer, ebenfalls dieses Zeichen einzuführen.
1954 gründet Kurt Kretschmann die Lehrstätte für Naturschutz im Müritzhof. In diese Zeit fällt auch die erste Begegnung von Kurt und Erna mit dem damals elfjährigen Michael Succow. »Sie wurden für mich zum Idol, waren Lehrmeister und Wegbereiter«, erinnert sich der Träger des Alternativen Nobelpreises.
1960 gehen die Kretschmanns zurück nach Bad Freienwalde in ihr Blockhaus, das sie kurz nach Kriegsende errichteten und nun zum »Haus der Naturpflege« ausbauen. Hier wird ein neuer Umgang mit Natur vorgelebt. So wurde das Haus zur Zentrale für den von Kretschmann 1978 im Kulturbund gegründeten Arbeitskreis Weißstorch und den »Arbeitskreis für die vom Aussterben bedrohten Tierarten der DDR«. Die beiden Kretschmanns wurden zu Leitfiguren ganzer Generationen von Naturschützern. Dafür erhielten sie 1993 den Europäischen Umweltpreis der Ford Foundation. 1999 wurden beide Ehrenbürger der Stadt Bad Freienwalde. Michael Succow, der bis zuletzt mit Kurt in Kontakt blieb, schrieb über die Kretschmanns: »Gäbe es mehr Menschen mit den Idealen der Kretschmanns, mit der Kraft, richtig Erkanntes kompromisslos umzusetzen, mit der so seltenen Übereinstimmung von Wort und Tat, so wäre mir um die Zukunft der menschlichen Zivilisation nicht mehr bange. Denn letztendlich sind, waren die Kretschmanns weit mehr als Naturschützer, sie waren den Menschen zugewandt, Menschenfreunde.«
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/104171.ein-leben-in-harmonie-mit-der-natur.html