Martin Schulz auf der Couch
Der Journalist Martin Häusler hat ein Psychogramm des SPD-Kanzlerkandidaten entworfen und strickt an dessen Heldenmythos
Der Hype um den Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten der SPD, Martin Schulz, hat sich etwas gelegt. Seine Partei hat zuletzt die Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein verloren. In den bundesweiten Umfragen ist die CDU wieder enteilt. Für den Verkauf des Buchs »Verstehen Sie Schulz«, das der Journalist Martin Häusler nun im Europaverlag veröffentlicht hat, sind das keine sonderlich guten Voraussetzungen. Denn das große Interesse an Schulz entsprang der Einschätzung vieler Menschen, dass er die SPD in kurzer Zeit aus ihrem Tief herausholen könnte. Mit dem Leben eines künftigen Vizekanzlers oder Oppositionsführers Schulz dürften sich dagegen nur eingefleischte SPD-Fans intensiver beschäftigen.
Bei der Vorstellung des rund 180 Seiten langen Werks am Mittwoch im Haus der Berliner Bundespresskonferenz beteuert Häusler, dass er kein Buch für oder gegen Schulz habe schreiben wollen. »Es war stattdessen ein aufklärerisches Projekt«, so der Autor, der für seine Recherchen auch einige Gespräche mit dem SPD-Chef geführt hat.
Kaum kritische Distanz
Doch bei der Lektüre fällt auf, dass Häusler, der für konservative Medien wie die »Rheinische Post« und den Springer-Verlag gearbeitet hat, kein Freund der kritischen Distanz ist. Das mit Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Leben von Schulz, seiner Familie und seiner Heimatstadt Würselen bei Aachen gespickte Buch liest sich in weiten Teilen wie eine Heldengeschichte. Ausführlich werden die Auseinandersetzungen von Schulz im Europaparlament mit dem damaligen italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi im Juli 2003 und mit einem Abgeordneten der neofaschistischen griechischen Partei »Goldene Morgenröte« im März 2016 beschrieben. Berlusconi wird von Schulz nach einem Nazivergleich zurechtgewiesen. Den griechischen Abgeordneten verweist Schulz als Parlamentspräsident nach rassistischen Aussagen über Türken des Saals. Dies seien Beispiele dafür, wie »ein grundsätzlich emotionaler, aber sonst doch in sich ruhender und besonnen agierender Politiker an den Rand der Contenance gebracht werden kann«, schreibt Häusler. Schulz, der Antifaschist.
Ebenfalls heldenhaft wirken Anekdoten aus der Zeit, als der Sozialdemokrat Mitte der 90er Jahre damit befasst ist, die Hintergründe des Falls des Mörders und Sexualstraftäters Marc Dutroux in Belgien aufzudecken. Schulz ist Berichterstatter im Innenausschuss des Europaparlaments. In dem Buch heißt es, dass ihm »vertrauliche Unterlagen zugespielt wurden« und Schulz mit seinen Mitarbeitern »eigene Recherchen angestellt« hätte. Seine Ehefrau warnt ihn. Aber der Rheinländer lässt sich nicht beirren. »Das hätten auch unsere Kinder sein können«, soll er ihr geantwortet haben.
Nicht nur diese Passagen sind offenbar etwas aufgebauscht. Der Autor deutet sogar an, dass der Fall Dutroux im Zusammenhang mit einer Bombendrohung gegen das EU-Parlament stehen könnte. Er erwähnt auch einen Mann, der auf der Autobahn seinen Wagen neben den von Schulz setzt und »durchs Fenster mit seiner Hand in unmissverständlicher Geste auf den Politiker zielt«. Schulz liefert zwar einen beachteten Bericht ab, aber seine Möglichkeiten sind begrenzt. »Trotz aller Hingabe, trotz allen Risikos, die wahren Hintergründe kommen auch durch Martin Schulz nicht ans Tageslicht«, konstatiert der Autor. Trotzdem bleibt ein Bild bei dem Leser hängen: Schulz, der unnachgiebige Ermittler.
Fehlendes Demokratieverständnis
Nur selten wird der Heldenmythos angekratzt. Im Juni 2015 unterbindet Schulz eine Debatte über TTIP und vertagt die für den Folgetag geplante Abstimmung über eine gemeinsame parlamentarische Stellungnahme mit Empfehlungen zu dem transatlantischen Freihandelsabkommen. Offensichtlich soll dadurch eine drohende Abstimmungsniederlage verhindert werden. Häusler zitiert Abgeordnete, die Schulz einen Missbrauch der Geschäftsordnung und ein zweifelhaftes Demokratieverständnis vorwerfen.
Erklärungsansätze für das Handeln des Politikers Schulz sucht Häusler in dessen Jugend. Immer wieder habe es unausgesprochene »Familienaufträge« für ihn gegeben. Besonders wegen der Kriegszeiten hätten Eltern und Großeltern keine Chancen gehabt, dass ihre Lebensziele in Erfüllung gehen. Die These des Autors lautet, dass Schulz das kompensieren musste. Zunächst als begabter Fußballspieler, später als Politiker. Leicht habe es Schulz dabei nicht gehabt, wie seine zum Teil schwachen Schulleistungen und seine zwischenzeitliche Alkoholsucht zeigen. Auch die Übernahme des Parteivorsitzes und der Kanzlerkandidatur interpretiert Häusler als »Familienauftrag« der SPD. »Wieder soll er den Erlöser geben«, schreibt er in einem das Buch durchziehenden pathetischen Stil.
Darüber, ob dieses Psychogramm des 61-Jährigen eine zutreffende Darstellung ist, lässt sich streiten. Vielleicht ist die Person Schulz gar nicht so kompliziert, sondern er ist lediglich sehr ehrgeizig und identifiziert sich stark mit seiner Heimat und Herkunft. Als er bei der Buchvorstellung auf die »Familienaufträge« angesprochen wird, antwortet Walter Schulz, Bruder des SPD-Chefs und wie alle fünf Geschwister selbst Sozialdemokrat, dass es auf jeden Fall ein Auftrag war, dass sein Vater als Polizist nicht negativ »ins Gerede kommt«. Das hat Martin Schulz verinnerlicht. Er erklärt bei jeder Gelegenheit, Politik für die »hart arbeitenden Menschen« machen zu wollen, die »sich an die Regeln halten«. Jedem Polizisten aus der Provinz dürfte bei solchen Sätzen das Herz aufgehen. Ob Schulz damit aber auch insgesamt genügend Menschen anspricht, um Kanzler zu werden, wird sich erst in einigen Monaten zeigen.
Martin Häusler: Verstehen Sie Schulz. Wie der mächtigste Mann der SPD wurde, was er ist. Biografie. Europaverlag. 184 S., geb., 14,90 €.
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