SPD hofft auf Macron
Bundestag diskutierte in einer Aktuellen Stunde über Pläne des französischen Präsidenten
Der Zeigefinger von Joachim Poß weist nach links. »Eine Partei, die bis heute ihr Verhältnis zu Europa und zum Euro nicht geklärt hat, sollte nicht so die Backen aufblasen. Sie haben das Recht dazu verspielt«, ruft der sozialdemokratische Abgeordnete am Rednerpult des Bundestags in Richtung der LINKEN. Die SPD-Fraktion applaudiert eifrig. Es ist Vorwahlkampfzeit und das Parlament debattiert in einer Aktuellen Stunde am Donnerstagnachmittag über die Pläne des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Ob Poß wirklich die kurz vor seinem Auftritt gehaltene Rede seines ehemaligen Parteikollegen Alexander Ulrich sehr empörend findet oder ob nicht vielmehr die Niederlagenserie bei den letzten drei Landtagswahlen den aus dem Ruhrgebiet stammenden SPD-Politiker dünnhäutig gemacht hat, bleibt Interpretationssache.
Ulrich sagt das, was in den 90er Jahren noch die Mehrheit der Sozialdemokraten unterschrieben hätte. Er warnt, dass die unter Macron drohende »Kürzungspolitik und Finanzmarktderegulierung« für Millionen Franzosen das Abrutschen in die Armut bedeuten würde. Steuern auf Vermögen und Kapitalerträge wolle Macron senken. »Dafür will er Ausgaben für Gesundheit und Arbeitslosenhilfe kürzen«, moniert Ulrich.
Der frühere französische Sozialist hat nicht nur Pläne für sein Land, sondern er will auch die EU reformieren. Bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Beginn dieser Woche hatte Macron unter anderem ein gemeinsames Budget für die Eurozone vorgeschlagen. Ulrich hält dies grundsätzlich für sinnvoll. Er befürchtet aber, dass dann die Ausgabe von Mitteln aus dem Budget nach dem Willen der Bundesregierung an neoliberale Reformforderungen geknüpft werde. Es drohten dann Kürzungen und Privatisierungen. Der LINKE-Politiker warnt vor einer »Dauer-Troika-Politik«, wie man sie in Griechenland kennt.
Viele SPD-Politiker stehen trotzdem an der Seite von Macron, der sich gut mit Außenminister Sigmar Gabriel versteht. 2015 hatten Gabriel und Macron, als sie noch Wirtschaftsminister ihrer Länder waren, einen Vorschlag für eine europäische Wirtschafts- und Sozialunion vorgelegt. Diesen Plänen steht Joachim Poß wohlwollend gegenüber. »Wir brauchen einen eigenen Eurohaushalt, der uns Zukunftsinvestitionen ermöglicht, parlamentarisch kontrolliert ist und durch einen Eurominister geführt wird«, sagt er. Zudem fordert Poß, dass in der EU soziale Mindeststandards festgelegt werden und Steuerdumping nicht mehr zugelassen wird.
Die Grünen haben die Aktuelle Stunde beantragt und begrüßen grundsätzlich die Präsidentschaft Macrons. »Wir sollten aber nicht jeden seiner Vorschläge ungeprüft übernehmen«, meint der Grünenvorsitzende Cem Özdemir. Investitionen sollten aus seiner Sicht in jedem Fall nachhaltig sein. Lob findet Özdemir für die Entscheidung des französischen Staatsoberhaupts, den Umweltaktivisten Nicolas Hulot zum Umweltminister ernannt zu haben. Damit öffne sich die Tür für mehr Ökologie, frohlockt Özdemir. Allerdings heißt es aus Paris, dass das Land mit seinen vielen Atomkraftwerken keineswegs eine beschleunigte Energiewende anstrebe.
Für Unionsfraktionsvize Hans-Peter Friedrich steht ein anderes Thema im Vordergrund. Er fordert von Frankreich, es solle »wettbewerbsfähiger« werden. Der CSU-Politiker kritisiert das Land, weil seine Staatsquote, also das Verhältnis der staatlichen Ausgaben zur Wirtschaftsleistung, bei 57 Prozent liegt. Der Staat ist aus seiner Sicht eine Art Monster. »Das Geld geht in den Schlund des Staats und wird dort in irgendeiner Weise verarbeitet«, sagt Friedrich.
Doch der Konservative ist zuversichtlich, dass Macron einen Weg in seinem Sinne einschlagen, sparen und die Rechte von Arbeitern und Angestellten weiter abbauen wird. »Er wird die Fesseln auf dem Arbeitsmarkt beseitigen und die Staatsquote senken«, prognostiziert der CSU-Mann. Für ihn ist der »Reformwille der französischen Bevölkerung« entscheidend und nicht »Geld von außen«. »Macron liebt Europa und Frankreich. Wir lieben Europa und Deutschland«, sagt Friedrich. Mit anderen Worten: Jeder denkt zuerst an sich. Das ist aber keine gute Nachricht, wie Friedrich meint - sondern eine der wesentlichen Ursachen für das deutsche Übergewicht in Europa und für die derzeitige Krise.
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