nd-aktuell.de / 09.06.2017 / Politik

Riexinger: Merkel und ihre Politik können abgewählt werden

LINKE berät in Hannover abschließend über Wahlprogramm / Streit in Generaldebatte über Autobahnprivatisierung

Aert van Riel, Hannover

Update 17.15: Bartsch: Wir sind bereit für Regierungsverantwortung

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch hat seine Partei dazu aufgerufen, die »Regierungserfolge in den Ländern Brandenburg, Berlin und Thüringen« auch im Bundestagswahlkampf nach vorne zu stellen. Beim Programmparteitag in Hannover sagte der Spitzenkandidat, dass seine Partei bereit sei, auch im Bund Regierungsverantwortung zu übernehmen. Zugleich sprach er sich allerdings gegen einen Lagerwahlkampf aus und forderte die SPD dazu auf, sich in Richtung Gerechtigkeit zu bewegen. »Wir gehen nur mit unserer Programmatik in den Wahlkampf«, unterstrich Bartsch.

Zuvor war ein Antrag mit knapper Mehrheit abgelehnt worden, wonach das Friedenskapitel im Wahlprogramm nach vorne verschoben werden sollte. Zudem beschlossen die etwa 470 Delegierten, dass sich die LINKE an keiner Regierung beteiligen will, die Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt.

Update 11.15: Riexinger: Abwahl von Merkel möglich

Der Linksparteivorsitzende Bernd Riexinger hält trotz guter Umfragewerte für die CDU-Kanzlerin Angela Merkel einen Politikwechsel nach der Bundestagswahl im September für möglich. »Vor wenigen Wochen hätte auch niemand gedacht, dass Theresa May die Wahlen in Großbritannien nicht gewinnen würde«, sagte Riexiner am Samstagmorgen. Probleme sah der Parteichef allerdings bei der SPD. »Sie hat nicht die Segel gehisst für einen Politikwechsel, das dürfen wir ihnen nicht durchgehen lassen«, so Riexinger. So halte die SPD etwa eine Vermögensteuer für »Ideologie«. Doch ohne Umverteilung seien eben alle sozialen Versprechen nur Schall und Rauch.

Zuvor hatten die Delegierten beschlossen, dass die Partei mit der Forderung nach einer Mindestsicherung von 1050 Euro anstelle von Hartz IV in den Bundestagswahlkampf zieht. Die jetzige Hartz-IV-Leistung für Langzeitarbeitslose soll abgeschafft werden. Sanktionen etwa wegen nicht angenommener Jobangebote soll es nicht mehr geben. Das zuvor gezahlte Arbeitslosengeld I soll länger gezahlt werden. Die Versicherung gegen Erwerbslosigkeit soll dabei den zuvor erreichten Lebensstandard sichern. Für alle Minderjährigen soll eine Grundsicherung von 573 Euro fließen. Zudem forderte die LINKE die Anhebung des Mindestlohns von 8,84 auf 12 Euro und eine Mindestrente von 1050 Euro. Das Rentenniveau - also das Verhältnis der Rente zu den Löhnen - soll sofort auf 53 Prozent steigen.

Update: 20.45: Linke Regierungspolitik Thema bei Generaldebatte

In der Generaldebatte der LINKEN haben sich sich die unterschiedlichen Haltungen zu Regierungsbeteiligungen gezeigt. Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform verteidigte den von ihr und dem Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke initiierten offenen Brief an die Delegierten, in dem es unter anderem heißt, dass von einigen »Protagonisten der LINKEN die Illusion verbreitet wird, mit einer rot-rot-grünen Bundesregierung sei ein grundlegender Politikwechsel möglich«. »Es darf kein Zweifel an unserer Friedenspolitik aufkommen und daran, dass für uns Hartz IV und soziale Gerechtigkeit unvereinbar sind«, so Brombacher.

In eine ähnliche Kerbe schlug unter anderem Daniel Kerekes von der Linksjugend solid. Rote Haltelinien bedeuteten auch, dass kein Krieg geführt und nicht privatisiert werde, sagte er. Dies war auch eine Kritik an den Landesregierungen mit linker Beteiligung, die kürzlich im Bundesrat für die Bund-Länder-Finanzreform gestimmt hatten. Zu diesem Gesetzespaket gehört auch die Autobahngesellschaft.

Christian Görke, Finanzminister im von Rot-Rot regierten Brandenburg, verteidigte das Abstimmungsverhalten der LINKEN in der Länderkammer. Denn Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble habe zustimmen müssen, dass der Bund bald jährlich rund 9,7 Milliarden Euro zusätzlich in das neue Finanzausgleichssystem zahlt. »Das ist ein Fakt, über den auch geredet werden muss«, sagte Görke. Man sei in dieser Frage erpressbar gewesen, aber die Schuld liege nicht bei den Erpressten, sondern bei den Erpressern.

Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer bezeichnete das rot-rot-grüne Bündnis in der Hauptstadt als »alles andere als leicht«. Aber »nach fünf Jahren Stillstand« sei diese Koalition notwendig gewesen. Als Erfolge der Berliner Politik nannte Lederer unter anderem, dass Tausende Flüchtlinge menschenwürdig untergebracht worden seien und der Senat aus dem staatlichen Berliner Stadtwerk einen großen kommunalen Versorger machen wolle.

Kipping: Bundestagswahl auch für Europa entscheidend

Zuvor hatte die Linksparteivorsitzende Katja Kipping in ihrer Rede zu Beginn des Parteitags vor allem die Union attackiert. Kipping monierte vor den Delegierten, dass die Armutszahlen seit 2005 kontinuierlich gestiegen seien. Zu diesem Zeitpunkt hatte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel das Amt als Bundeskanzlerin übernommen. »Die Zahl der Menschen, die dauerhaft in Armut leben, hat sich zudem in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt«, kritisierte Kipping. Sie warf der Union vor, nichts dagegen getan zu haben, sondern die Löhne gedrückt und Millionäre sowie Konzerne steuerlich geschont zu haben.

Die LINKE will in Hannover ihr Programm für die Bundestagswahl beschließen. Diese Wahl im September sieht Kipping nicht nur als Entscheidung über dieses Land, sondern »auch über Europa«. »Eine soziale Wende in Europa ist nur dann möglich, wenn wir hierzulande einen Kurswechsel schaffen«, sagte sie. In der EU herrsche auch wegen des mit »Lohnzurückhaltung« erkauften deutschen Handelsüberschusses ein »wirtschaftliches Ungleichgewicht«.

Die LINKE-Chefin warb mit dem Steuerkonzept ihrer Partei auch um die Mittelschichten, die deutlich besser gestellt werden sollten. Zudem wolle die LINKE unter anderem durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung Armut bekämpfen.

Kipping rief SPD und Grüne zu einer »verlässlichen Friedenspolitik« ohne Militäreinsätze und ohne Rüstungsexporte auf. Diese sei für die beiden Parteien »eine echte Chance«. Vor der Rede der Bundesvorsitzenden hatte das Frauenplenum der LINKEN getagt.