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Notgedrungen im Paradies

In Sanary-sur-Mer an der Côte d’Azur fanden nach der Machtübernahme Hitlers viele deutsche Künstler und Autoren Zuflucht

  • Wolfgang Stelljes
  • Lesedauer: 4 Min.

Sanary-sur-Mer ist ein schmuckes französisches Hafenstädtchen an der Côte d’Azur und bei Kreuzfahrten durch das westliche Mittelmeer häufig auch Ziel von Landausflügen. Was viele Reisende nicht wissen: Es ist ein Ort mit besonderer Geschichte. Denn nach der Machtübernahme Hitlers fanden hier zahlreiche Künstler und Autoren Zuflucht.

Nein, viel erinnert nicht mehr an die »heimliche Hauptstadt der deutschen Literatur«, wie der Philosoph und Schriftsteller Ludwig Marcuse den kleinen Fischerort Sanary-sur-Mer einst nannte. Immerhin, neben der Touristeninformation steht eine große Tafel mit Namen. Sie liest sich wie ein Who's who der deutschen Exilliteratur. Heinrich und Thomas Mann, Stefan Zweig, Lion Feuchtwanger, Joseph Roth, Franz Werfel, Alma Mahler-Werfel und viele andere weilten hier Monate oder auch Jahre, anfangs gern gesehene Gäste, später dann, nach Kriegsbeginn, argwöhnisch beäugt. Sie lebten »notgedrungen im Paradies«, wie Marcuse es formulierte. Kleine Gedenktafeln erinnern noch an ihre Wohnorte, die aber nicht besichtigt werden können. Warum gerade Sanary-sur-Mer? Es war im Grunde wie so oft: Da war einer, der einen kannte, der einen kannte. Genauer: Der britische Autor Aldous Huxley (»Schöne neue Welt«), der diese Sommerfrische für sich entdeckt hatte, kannte den Kunsthistoriker Julius Meyer-Gräfe, der wiederum den Tipp streute. Sanary-sur-Mer hatte einen großen Vorteil: Der idyllische Hafenort zwischen Marseille und Toulon war ruhig und preiswert. So erzählt es Ina Bérato. Die gebürtige Hessin lebt seit fast einem halben Jahrhundert im nahen La Seyne und arbeitet als Gästeführerin. Dabei wandelt die 70-Jährige auch immer wieder auf den Spuren der Exilliteraten.

Es war ein buntes Häuflein, das hier zwischen 1933 und 1940 Zuflucht fand: Juden und Homosexuelle, Konservative und Kommunisten, gut Betuchte und bitter Verarmte. Auf Fotos aus jenen Tagen sieht man Lion und Marta Feuchtwanger vor einer großen Bücherwand. Im Hause Mann gab es »Vorlesezeremonien« für sechs bis acht Zuhörer, erzählt Bérato. Man pflegte, »typisch deutsch, ein gewisses Niveau auch im Exil«. Erich Klossowski dagegen war nahezu mittellos. Aber der Maler, Kunsthistoriker und Bühnenbildner sprach französisch und war im Ort integriert. Klossowski, genannt »Monsieur Klo«, weil stets in einen dunklen Anzug gewandet, erhielt 1939 sogar die französische Staatsbürgerschaft.

Die Exilanten mochten noch so unterschiedlich sein, »was sie einte, war der Hass auf Hitler«, sagt Ina Bérato. Hafencafés wie das von »Witwe Schwob« oder das »Le Marine«, das auch heute noch existiert, wurden ihnen zu einer zweiten Heimat. Hier spielten sie Schach oder feilten an ihren Texten. Auch Bertolt Brecht schaute herein und sang Spottlieder über Nazigrößen.

Kurzzeitige Gäste wie Brecht oder Arnold Zweig bezogen ein Zimmer im »Hotel de la Tour« direkt am Hafen. Das Haus ist bis heute eines der markantesten Gebäude am Hafen. Den kürzesten Weg zu den Treffen im Café hatte der Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf. Sein Zimmer mit Balkon und Meerblick war direkt über dem »Schwob«. Heute wird hier hochpreisiges Speiseeis verkauft. Und auf großen Bildschirmen laufen Musikclips oder Fußballspiele.

Mit dem näher rückenden Krieg verdüsterte sich die Stimmung gegenüber den Emigranten. Sie standen unter einem Generalverdacht: Spionage.

Franz Werfel, der gemeinsam mit seiner Frau Alma eine mückenreiche Mühle oberhalb des Ortes bewohnte, wurde einmal mitten auf dem Markt verhaftet, erzählt Ina Bérato. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Frankreich mussten die Geflüchteten dann auch noch befürchten, in die Hände der Nazis zu fallen. Mit Hilfe eines Netzwerkes, das von dem amerikanischen Journalisten Varian Fry geleitet wurde, gelang es vielen, über Spanien und Portugal in die USA flüchten. Andere, wie Friedrich Wolf, konnten sich nach Moskau absetzen. Wieder andere blieben, wie Franz Hessel. Er hatte sich unter anderem mit der Übersetzung von französischen Klassikern von Marcel Proust und Honoré de Balzac einen Namen gemacht. Zweimal wurde er im Lager »Les Milles« interniert, zweimal wieder freigelassen. Hessel »ist an Gram gestorben«, sagt Ina Bérato. »Er konnte es nicht verkraften, dass er in seinem geliebten Frankreich angefeindet wurde«. Nur einer blieb für immer: Erich Klossowski. Er fand seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof von Sanary-sur-Mer.

Infos

Die Touristeninformation am Hafen hält ein Faltblatt mit Ortsplan bereit. www.sanarysurmer.com

Die Gästeführerin Ina Bérato ist erreichbar unter Tel.: (0033) 494 980 100

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