nd-aktuell.de / 23.02.2007 / Politik
»Die weiße Folter wird geleugnet«
Ilse Schwipper über die RAF-Debatte
Ilse Schwipper, geboren 1937, saß im Zusammenhang mit Aktionen der Bewegung 2. Juni 12 Jahre in Untersuchungshaft, davon sechseinhalb Jahr in Isolation. Sie lebt heute in Berlin, veröffentlicht Artikel und Bücher zum Thema Isolationshaft und arbeitet in anarchofeministischen Zusammenhängen.
ND: 30 Jahre nach dem »Deutschen Herbst« gibt es noch einmal ein riesiges Medieninteresse am »bewaffneten Kampf« einiger Linker in Westdeutschland. Hat sich die Berichterstattung im Vergleich zu anderen Jahrestagen verändert?
Schwipper: Teilweise. Was sich in all den Jahren aber nicht geändert hat, ist die Diffamierung der 68er Bewegung im Allgemeinen und des militanten Teils der Bewegung im Besonderen. Eine gravierende Änderung gibt es allerdings. Aktuell kommen zu Diffamierungen die Geschichtsverfälschungen hinzu.
Welche meinen Sie?
Eine der gravierendsten Geschichtsfälschungen besteht in der Behauptung, dass es in der BRD weder politische Gefangene noch weiße Folter gegeben hätte und hat. Weiße Folter ist die Bezeichnung für die Bedingungen unter Isolationshaft. Mit solchen Maßnahmen wollte der Staat Persönlichkeiten zerstören. Gesundheitliche Dauerschäden bei den Betroffenen resultierten vor allem aus der weit gehenden Reduzierung sämtlicher Sinneswahrnehmungen durch die Isolation. In der Fachsprache heißt das Sensorische Deprivation.
Warum wird gerade auf diesen Aspekt, die Leugnung der schlechten Haftbedingungen damals, in der aktuellen Debatte so großer Wert gelegt?
Die Leugnung der Isolationshaft sehe ich eindeutig im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion, die Folter wieder gesellschaftsfähig machen soll. Stichworte in dem Zusammenhang sind die Debatten um den früheren Frankfurter Vize-Polizeichef Wolfgang Daschner und um das Schicksal von Murat Kurnaz. Dem werden alle möglichen Verhaltensweisen angelastet, so dass der Eindruck entsteht, er sei selbstverschuldet nach Guantanamo gekommen.
Warum melden sich so wenige Gegenstimmen der selbst Betroffenen zu Wort?
Das hat sicher mit der aktuellen Mainstream-Diskussion zu tun, die sich gegen Protagonisten der damaligen Kämpfe richtet. Die Beteiligten sind erschrocken über die verbale Gewalttätigkeit die sich in der Diskussion äußert. Das macht es ihnen schwer, eine Gegenstimme zu Gehör zu bringen.
Sie selbst sind auch von der andauernden Umschreibung der Geschichte betroffen.
Ja. Kürzlich haben verschiedene Zeitungen Berichte über ein Wohnprojekt aus den 70er Jahren mit »Mordkommune« überschrieben und gefragt: »Wie geht unser Geheimdienst mit Terroristen um?« Diese Kommune, die K3, war weder jemals im Zusammenhang mit so genanntem Terrorismus noch wegen irgendwelcher Morde beschuldigt worden. In der K3 haben auch Kinder gelebt, die heute Erwachsene sind. Einer davon lebt noch heute in Wolfsburg. Wenn dann solche Berichte kommen, ist das eindeutig Rufschädigung und Geschichtsfälschung. Zumal alle damals genau wussten, wer die »rote Ilse« aus dem Artikel ist. Nachbarn von damals haben mit die Berichte gleich zugesandt.
Interview: Peter Nowak
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/105523.die-weisse-folter-wird-geleugnet.html