Mehr Pflicht als Neigung
Vor 200 Jahren starb die britische Schriftstellerin Jane Austen
Seit über zweihundert Jahren hat sie viele Fans: vor allem Frauen, vor allem unverheiratete. Aber wo die Fans sind, sind auch die Verächter nicht weit. Mark Twain, für seine drastischen Urteile berüchtigt, schrieb über Jane Austen, nur eine Bibliothek, die ihre Bücher nicht enthalte, sei eine gute Bibliothek. Und noch drastischer: »Jedes Mal, wenn ich ›Stolz und Vorurteil‹ lese, möchte ich die Frau am liebsten ausgraben und sie mit ihrem eigenen Schienbein versohlen.«
Nun ja, nicht ganz stilsicher das Bild - aber dass der Austen-Verächter Twain mehr als nur einmal unwillig in Austens Sittengemälden des ländlichen Lebens geblättert hat, ist zu bezweifeln. Doch der großsprecherische Amerikaner, der auch in Twain auf dem Sprung saß, wusste, dass »jedes Mal« effektvoller klingt als »ein einziges Mal«. Und um die großen, auch groben, Effekte ging es Jane Austen in ihrer fein ziselierten Sprache, die sich Zeit nimmt, auf den ersten Blick unspektakuläre Szenen zu schildern, eben nicht. Sie kultiviert etwas Urbritisches: das Understatement. Und wenn die Katastrophe noch so unbarmherzig über dich hereinbricht: Bleibe höflich und verletzte nicht die Regeln des guten Benehmens. Oder sind ihre Bücher doch eher eine uninspirierte »Strickarbeit« am Text? An dieser Frage schieden sich immer schon die Geister.
Virginia Woolf, überaus unverdächtig, harmlose Landromanzen zu rühmen, bemerkt den doppelten Boden in Austens Büchern. Gewiss, sie strotzen vor Konvention, aber das Korsett sitzt den Betreffenden - vor allem den jungen Frauen - allzu eng, als dass sie darin nicht unfreiwillig komische Verrenkungen vollführten. Und so heißt es bei Virginia Woolf sehr salomonisch: »Ihre Begabung und ihre Arbeitsumstände entsprachen einander vollständig.« Das letzte Wort in diesem Urteil - das Horizonte abschließende »vollständig« - deutet auf das Lebensdrama Jane Austens hin, das auch darin bestand, eben nie ein solches genannt werden zu dürfen.
Ihr Dasein stand unter dem Zeichen der Diskretion, die sie selbst am strengsten wahrte. Nicht erst die Vernichtung eines Großteils ihrer dreitausend Briefe umfassenden Korrespondenz durch die sie überlebende Schwester Cassandra hat das biographische Dilemma geschaffen, vor dem wir heute stehen; sie selbst begann mit der Verschleierung der Details ihres kümmerlichen Daseins, in dem Fassung zu bewahren die Hauptaufgabe war. Lebenslang teilte Jane Austen sich ein Zimmer mit der Schwester, achtete darauf, dass die Türangel nie geölt wurde, so dass sie laut knarrte, wenn jemand den Raum betrat - und deckte dann schnell das Geschriebene mit einem Löschblatt ab; wie eine Schülerin, die nicht bei etwas Verbotenem ertappt werden will. Sie veröffentlichte all ihre Bücher unter Pseudonym, das eher ein Logo oder eine Markensignatur zu sein scheint: »by a lady«. Allerdings war es nach ihren ersten Erfolgen ein offenes Geheimnis, wer sich dahinter verbarg.
Geboren 1775 in Hampshire, war sie eines von acht Kindern. Eine Pfarrersfamilie, die Bildung und die Musen hoch schätze - aber nur für den häuslichen Gebrauch. Mit zwölf begann sie zu schreiben, fabulierte sich dorthin, wo sie war, als sie mit einundvierzig Jahren an einem Nierenleiden starb: zur Bewohnerin ihrer eigenen Romane. Das war die einzige Form von Autonomie, die zu erlangen ihr möglich schien. Das Geld war knapp in der Familie, und als der Vater starb, traf sie jenes Schicksal, das in ihren Romanen immer wieder eine Rolle spielt: das einer armen Verwandten aus gutem Hause. Einer ihrer Brüder wurde von einem reichen Onkel adoptiert - und ließ die Mutter mit den beiden Töchtern Jane und Cassandra dann in einem kleinen Haus wohnen, das auf seinem Grundstück stand. Zu den Demütigungen des Lebens mit einem winzigen Vorbehalt in der Stimme danke zu sagen, das war fortan die Kunst, die es zu perfektionieren galt.
Mehrere der sechs Romane, die sie schrieb, sind bis heute berühmt, vor allem ihr Debüt »Stolz und Vorurteil« von 1811, »Mansfield Park« und »Emma«. Diese Bücher wurde in den letzten zwanzig Jahren mehr als zehn Mal fürs Kino und Fernsehen verfilmt. Sie eint eine Grundtendenz: gediegene Opulenz. Man darf wohl mit Gewissheit sagen, dass diese Autorin weniger durch ihre Bücher berühmt geblieben ist als durch deren ständige Neuverfilmungen.
Dabei lohnt es sich durchaus, sie zu lesen. Wer Robert Louis Stevenson oder Charles Dickens schätzt, der wird in ihren Romanen eine ebenbürtige Fähigkeit erkennen: anhand der kleinen, oft absurden Details, die es zu beobachten gilt, eine große Geschichte erzählen zu können. In »Northanger Abbey« finden sich die leicht dahergesprochen wirkenden und doch tief lotenden Sätze über die Hauptfigur Catherine, deren in Frage stehende Eignung zur Hauptfigur eines Romans dabei gleich mitverhandelt wird: »Dem Wesen nach schien sie nicht minder untauglich zur Heldin. Sie liebte Knabenspiele und zog Kricket nicht nur den Puppen vor, sondern auch den edleren Freuden der Kindheit wie der Aufzucht einer Haselmaus, dem Füttern eines Kanarienvogels oder dem Wässern eines Rosenstrauchs. Sie lernte und begriff erst dann, wenn man es ihr beibrachte, und mitunter nicht einmal dann, denn oft war sie unaufmerksam und gelegentlich auch begriffsstutzig. Der Tag, an dem der Musiklehrer entlassen wurde, war einer der glücklichsten Tage in Catherines Leben.«
Jane Austen, die ebenso wie ihre Schwester Cassandra unverheiratet blieb (sie waren eben schlechte Partien), kreiste immer wieder um das Thema Ehe. Sie wusste: Reich zu heiraten wäre die einzige Möglichkeit, um aus der unwürdigen Rolle der geduldeten armen Verwandten herauszukommen. Es ist wahrlich kein pseudoromantisches Schwelgen, sondern nüchterner Realismus, der die Rolle der Frau in ihrer Zeit beschreibt, wenn sie notiert: »Lebendige Frauen haben einen fatalen Hang dazu, arm zu sein - was doch ein recht starkes Argument für die Ehe ist.« Hinter all der Konvention, das zeigt sie sehr genau, stecken immer finanzielle Kalküle. Diese ganze Schicht der kleinen Adeligen und ehrgeizigen Bürger spekuliert ständig auf Erbschaften, die sie aus ihren engen Verhältnissen befreien sollen, die sie, so gut es geht, verbergen.
In »Gefühl und Verstand« erweist sich Jane Austen bei der Schilderung einer ehelichen Debatte darüber, wie man nun, nach dem Tod des Vaters, die im Haus lebenden Verwandten abspeist (los wird), als Meisterin des abgründigen Dialogs. Man handelt sich sozusagen gegenseitig die übernommenen Verpflichtungen zur Versorgung ab, es wird immer weniger, und am Ende ist nichts mehr übrig. Jane Austen, man ahnt es, beschreibt, was ihr selbst widerfahren ist - voller Bitterkeit, die einen Ausweg in einer Art höheren Humor sucht.
War ihr Schicksal, das kein dramatisch Schweres, sondern ein auf ungute Weise Gewichtloses war, denn zu vermeiden? Eine selbstständige Existenz außerhalb der Ehe war für eine Frau aus guter Familie nicht möglich - jedenfalls reichte ihr Mut nicht, mit Familie und Herkommen zu brechen. Dabei gab es andere Beispiele, etwa jene Dichterrunde, die sich bei Lord Byron in der Villa Diodati 1816 am Genfer See trifft. Es ist schlechtes Wetter und man beschließt, sich die Zeit mit dem Schreiben von etwas Furchterregendem zu vertreiben. Byron fertigt eine Skizze zu »Der Vampir« an, die sein literarisierender Arzt Polidori später ausführt und berühmt macht. Shelley ist da, auch seine spätere Frau Mary (die damals noch nicht so heißt) und gerade achtzehn Jahre alt ist. Sie schreibt »Frankenstein«, die negative Utopie eines künstlichen Menschen, der zum unkontrollierbaren Monster wird. Was für ein ganz anderer, visionärer Zugriff!
Jane Austen lagen zur gleichen Zeit derartige literarische Experimente (auch die im Zusammenleben von Mann und Frau, wie sie die Romantiker praktizierten) sehr fern. Die Monster, mit denen sie kämpfen, waren Onkel und Tanten, oder die Ohnmachtsanfälle auslösende Frage, ob man nach einer Gesellschaft von einem Diener begleitet in der Kutsche des Hausherrn nach Hause gebracht wird, oder ob bloß eine Mietkutsche (ein Taxi also) gerufen wird. Was ist die Neigung des Herzens gegen die Pflicht, den eigenen Stand zu wahren, den man heute wohl als Status bezeichnen würde?
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