London will keine EU-Richter mehr

Premierministerin wünscht eine maßgeschneiderte Lösung

  • Sascha Zastiral, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Großbritannien soll nach dem EU-Austritt nicht mehr der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union unterliegen. Die Regierung hat ihre diesbezügliche Absicht am Mittwoch bekräftigt. In einem Positionspapier heißt es, London werde die »direkte Gerichtsbarkeit« des Gerichtshofs beenden. Die EU und Großbritannien müssten sich daher auf neue Mechanismen einigen, mit denen in Zukunft Streitigkeiten gelöst werden sollten.

»Wenn wir die EU verlassen, werden wir die Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs verlassen«, erklärte Premierministerin Theresa May in einem kurzen Fernsehinterview. Britische Richter würden in Zukunft auf der Basis von in London verabschiedeten Gesetzen Urteile fällen. Der Supreme Court in London solle die höchste Instanz sein. »Wir werden die Kontrolle über unsere Gesetze zurückholen«, sagte May.

Bei eventuellen Konflikten - die vor allem beim Handel auftreten könnten - sollen nach dem Wunsch aus London eigens eingerichtete, neue Gremien schlichten. Es gebe eine Reihe von Beispielen, heißt es in dem Papier, bei denen sich die EU mit Drittländern auf eine enge Zusammenarbeit und auf Lösungen bei Streitfragen verständigt habe, bei denen der Gerichtshof der Europäischen Union nicht involviert sei. London möchte sich aber, wie bei anderen den Brexit betreffenden Fragen, nicht an einem bestehenden Modell orientieren, sondern wünscht sich eine maßgeschneiderte Lösung.

Die Regierung werde sich mit der EU in dieser Frage »konstruktiv auseinandersetzen«, heißt es in dem Papier. Doch Ärger ist programmiert: So möchte die britische Regierung erreichen, dass EU-Bürger, die in Großbritannien leben, künftig ihre Rechte nur noch vor britischen Gerichten einklagen können. Die EU hat in den vergangenen Monaten mehrfach wissen lassen, dass sie darauf bestehen werde, dass EU-Bürger ihre Rechte weiter vor europäischen Gerichten einklagen können. Auch europäische Unternehmen sollen aus Brüsseler Sicht in Zukunft in der Lage sein, ihre Rechte vor europäischen Gerichten einzuklagen. Es droht ein schwerer Streit.

Doch auch in Großbritannien kam der neue Vorstoß nicht überall gut an. Vielen Brexit-Unterstützern ging das Dokument nicht weit genug. Denn in den neuen Gremien oder Gerichten, die London in dem Positionspapier vorschlägt, hätte die EU ein Mitspracherecht. Mit anderen Worten: Großbritannien müsste sich weiterhin Wünschen und Entscheidungen aus Brüssel unterordnen. Vor allem für die Brexit-Hardliner, die das Land jeglicher Kontrolle durch die EU entziehen möchten, ist das ein Sakrileg.

Mehr noch: Die britische Regierung deutet in ihrem Papier an, dass es notwendig werden könnte, nach dem für März 2019 geplanten Brexit noch für mehrere Jahre der direkten Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union unterstellt zu bleiben. Die Brexit-Hardliner bei den regierenden Tories werfen May nun vor, sie weiche von ihrer harten Linie ab, die sie bei ihrer Brexit-Grundsatzrede im Januar vorgestellt hat.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.