»Wenn Sie mich verurteilen, dann verurteilen Sie halb Holland«, sagte Geert Wilders am 23. November 2016 vor Gericht als Hauptangeklagter wegen Volksverhetzung. Der rechtspopulistische Politiker hatte 2014 auf einer Wahlparty gefragt: »Wollt ihr in dieser Stadt und in den Niederlanden mehr oder weniger Marokkaner?« Als seine Anhänger »Weniger, weniger« skandierten, antwortete er, das werde man »regeln«. Kurz danach wurde er angezeigt. Doch der Prozess scheiterte. Der Politiker profitierte von der Medienaufmerksamkeit. Im März 2017 wuchs die Sitzanzahl der Partij voor de Vrijheid (PVV) um ein Drittel. Mit 20 Sitzen im Parlament ist sie heute zweitstärkste Kraft.
Wer das Phänomen Wilders verstehen will, muss einen Blick zurückwerfen in die Nullerjahre. Eine Große Koalition aus Sozialdemokraten und Liberalen führte damals umfangreiche Sozialkürzungen durch. In diesem Klima trat der Professor und Kolumnist Pim Fortuyn als Spitzenkandidat der rechtspopulistischen Partei Leefbaar Rotterdam an, mit der er - ein halbes Jahr nach dem 11. September - aus dem Stand 35 Prozent bei den Lokalwahlen erzielte. Zwei Monate später wurde er erschossen. Fortuyns Partei erhielt bei den neun Tage nach dem Mord stattfindenden Parlamentswahlen 2002 gut 17 Prozent.
Das durch Fortuyns Tod hinterlassene Vakuum füllte Wilders, der 2004 aus der liberalen Partei VVD ausgetreten war, 2005 seine eigene Partei gründete und seitdem eine steile Karriere machte. Dabei gibt es mehrere Gemeinsamkeiten zwischen Wilders und Fortuyn: Beide distanzierten sich von traditionell rechtsradikalen Parteien, Wilders ist zudem explizit pro-israelisch. Um nicht als Ausländerfeind zu gelten, kritisiert er den Islam als Religion und holt nur selten gegen andere Migrantengruppen, wie etwa Osteuropäer, aus. Weiteres gemeinsames Merkmal ist die Inszenierung als politische Rebellen und die provozierende Rhetorik, mit der beide Politiker immer wieder in die Medien gelangen bzw. gelangten.
Wie Wilders’ Worte wirken, zeigt sich am eindrucksvollsten darin, wie er den Diskurs der Parteien der Mitte beeinflusst. So schrieb Mark Rutte, amtierender niederländischer Premier, vor den Wahlen im März einen Offenen Brief an alle Niederländer, mit dem er sich Geert Wilders rhetorisch annäherte. Dort hieß es: »Wir fühlen uns zusehends unwohl damit, dass Menschen unsere Freiheit missbrauchen, um uns hier in den Kram zu pfuschen, obwohl sie genau wegen dieser Freiheit in unser Land gekommen sind. Verhaltet euch normal oder haut ab.« Mit diesem Brief machte Rutte deutlich, dass in den Niederlanden migrantenfeindliche Stellungnahmen, wie sie bislang nur von Wilders bekannt waren, normal geworden sind und somit auch die PVV salonfähig wird. Diese zog vor mehr als zehn Jahren, bei den Wahlen 2006, erstmals ins Parlament ein.
Die Hoffnung, sie würde sich als Protestpartei wieder auflösen, hat sich nicht erfüllt - im Gegenteil.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1066585.die-worte-wilders-und-wie-sie-wirken.html