Eine dicke Familie
Carmen-Maja und Jennipher Antoni lesen Peter Hacks
Im Alltag kommt es leider nicht allzu häufig vor, dass Eltern und Kinder eine Begeisterung von ganzem Herzen miteinander teilen. Während die Alten am Abendbrottisch die Sorgen ihres Arbeits- oder Arbeitslosenlebens herunterwürgen und sich allenfalls nach der Erledigung der Schularbeiten erkundigen, kann der Nachwuchs es kaum erwarten, hinter verschlossenen Kinderzimmertüren endlich wieder auf dem Smartphone herumzudaddeln. Umso erstaunlicher, welch Generationen verbindendes Kunst-Stück dem Dichter Peter Hacks (1928 - 2003) mit seinen »Geschichten von Henriette und Onkel Titus« gelungen ist.
Das Erscheinen des hier zu annoncierenden Hörbuchs lässt gar keinen Zweifel daran, dass es sich bei besagten Hacks-Geschichten und -Gedichten um einen wahren Klassiker der Kinderliteratur handelt, der sich aufs Schönste von der Mutter zur Tochter und weiter an die Enkel vererben lässt. Im Falle von Mutter und Tochter Antoni, die Hacks auf dieser CD ihre Stimmen leihen, kommt der begünstigende Umstand hinzu, dass beide den Beruf der Schauspielerin teilen. Wahrlich verblüffend ist es, mit anzuhören, wie sich das jahrzehntelang an Bühnenbrettern geschliffene Organ von Carmen-Maja Antoni (Jahrgang 1945) mit der noch immer mädchenhaft weichen Staunestimme von Tochter Jennipher (Jahrgang 1976) organisch zu verflechten scheint. Zwei offenkundig verschiedenfarbige Fäden werden da so lange aufs Selbstverständlichste zu kunterbuntem Seemannsgarn versponnen, bis man sie kaum noch auseinanderhalten kann.
Generationen verbindet freilich auch schon Peter Hacks selbst. Die aberwitzigen Abenteuer, die er den schrulligen Erfinder Onkel Titus - »ein freundlicher dicker Herr mit einem Birnenkopf und weißen Locken daran« - mit dessen tatkräftig tagträumender Nichte Henriette - »ein nettes kleines Mädchen, das merkwürdigerweise eine echte Perlenkette um den Hals trug« - erleben lässt, hebeln die Gesetze des Alltags schlichtweg aus. Die Welt, die sie sich kraft ihrer Vernunft (Onkel Titus) und ihres kindlichen Willens (Henriette) erschaffen, gehorcht nicht den vernagelten Vorstellungen des sturen Schutzmannes oder der hausmeisterhaften Nachbarin, sie folgt ihren eigenen, bezaubernden Regeln. Da gelingt es einem Nashorn, das lieber Haydn-Konzerte gibt, als in den Krieg zu ziehen, die Schlacht mit den Löwen abzublasen. Da wird eine schlichte Verkehrsinsel mit solcher Überzeugung als Robinson-Eiland besiedelt, bis tatsächlich ein Walfisch davor strandet - und nach der Behringstraße fragt.
Ich weiß nicht mehr, wie die Straßen hießen, auf denen wir kürzlich mit den Kindern übers Land brausten, als dieses Hörbuch fortwährend im Autoradio rotierte. Ich erinnere mich aber sehr gut, wie unser Eltern-Kinder-Chor sich irgendwann mit den Stimmen der Antonis vermischte, um begeistert das Gedicht von der »dicken Familie« mitzusprechen.
Peter Hacks: Geschichten von Henriette und Onkel Titus. Eulenspiegel Verlag, 1 CD, 12,99 €.
Hörbuchpremiere mit Carmen-Maja und Jennipher Antoni am 14. November, 20 Uhr, im Literaturforum im Brecht-Haus, Chausseestr. 125, Mitte
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