nd-aktuell.de / 18.11.2017 / Kommentare / Seite 22

Nostalgie

»Früher« war alles einfacher: Die Verhältnisse klar, die Rollen verteilt, die Grenzen gesteckt. Wehe dem, der dran rüttelt

Paula Irmschler

Würden wir jetzt jemanden auftauen, der sich für die Zukunft hat einfrieren lassen - er würde sich nicht mehr zurechtfinden. Nicht das Smartphonestarren wäre das Verwirrendste, all die Morde im Namen von Religion oder die Existenz von Burgerläden. Sondern dass man einfach nichts mehr darf. Die Person würde vermutlich sofort verknackt, weil man nicht mehr »Neger« sagen, »Zigeunerschnitzel« essen oder Frauen anschauen darf. Ganz normale Dinge! Denn wer kennt sie nicht, all die Gefängnisinsassen, die wegen dieser Vergehen eingebuchtet wurden und nie wieder gesellschaftlich anerkannt werden. Wir leben in einer Welt voller Dogmen und unter dem Gesinnungsterror der Political Correctness. Ist so.

»Früher«, »damals«, »zu meiner Zeit« soll ja immer alles viel einfacher gewesen sein. Die Verhältnisse waren klar, die Rollen verteilt, die Grenzen gesteckt. Es gab die D-Mark, kein Internet, Deutschland war noch wer, Ehefrauen konnten straffrei vergewaltigt werden. Wie gut das alles war, die schöne alte Zeit und wie schade, dass jetzt alles nicht mehr gilt, woran der weiße Mann geglaubt hat. Fahrzeuge, Fleisch, Frauenhass - kann man so heute nicht mehr machen, überall ist linke Inquisition und mit der Debatte um sexuelle Gewalt[1] (metoo) bewegen wir uns wieder ein Stück Richtung Totalitarismus. Doch mutige Männer und Frauen um die hundert stehen dem wehrhaft im Internet, im Feuilleton und in Talkshows entgegen, inszenieren sich als Vernünftige unter den Verblödeten und springen in die Bresche für die alte Welt.

Sie sehnen sich zurück nach einer Zeit, in der man »Komplimente« machte, zum Beispiel der Sekretärin auf den Hintern zu hauen, und Frauen eben nur Sekretärinnen waren. Eine Zeit, in der Gentlemen Frauen die Tür aufhielten, die dann dafür Sex bereitzustellen hatten. Rockstars waren glamouröse Lebemänner, die Drogen genommen und minderjährige »Groupies« verführt haben. Höflichkeit war Tugend! Nein, nicht Respekt, Vorsicht und Konsens, sondern: Die Alte muss sich doch nicht so anstellen. Mann war noch Mann, Frau war Frau, Homos gingen in den Knast. Feministinnen mit ihrem Schnullipulli, also Gebrauch von Demokratie, öffentlicher Meinungsäußerung und Beschwerde, das ist moderner Hokuspokus, der früher auch nicht gebraucht wurde. Sonst hätten sie sich ja einfach die Unterschrift von ihrem Mann dafür geholt. Moral, Schmoral.

Die Nostalgiker erinnern an den Naziopa, der nicht begreifen will, dass der Krieg verloren ist und seine Idee nicht überleben wird. Sie wollen eine Zeit zurück, die nicht wünschenswert ist, außer für sie. Sie sind fortschrittsfeindlich und regressiv. Ja, es gibt Dinge, die an Debatten und Entwicklungen zu kritisieren sind. Aber es gibt keine Zeit, die besser gewesen wäre als jetzt. Es ist Zeit, Opa zu sagen: Woran du glaubst, ist Unfug. Der Traum ist aus. Zum Glück.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1068696.metoo-und-sexuelle-gewalt-andersfrauen.html