Kopfhörer auf. »Stadt (Land Fluss)« in den Sophiensaelen hört jeder für sich allein. Bei der vom Hauptstadtkulturfonds geförderten Koproduktion von Daniel Kötter und Hannes Seidl mit dem Künstlerhaus Mousonturm und den Sophiensaelen setzt sich das Publikum einem Experiment aus. Es geht um eigenwilliges Stadtgeräusch, um das, was man als Bewohner des Urbanen für gewöhnlich zeitweise ausblendet wie den fürchterlichen Laubsauger gerade auf meinem Hof. Aber auch um das, was sonst nicht hörbar ist und unsere Körper dennoch aufnehmen.
Der von Paul Zoller gestaltete Festsaal empfängt mit rauer Atmosphäre. Stadt eben, in der man seinen Platz suchen muss, um sich wohlfühlen zu können. Gestelle prägen den Raum. An einigen sind Platten verschraubt. Performer befestigen weitere, um in der Mitte ein »Containerdorf« auf- und am Ende wieder abzubauen. Dort sollen zwischenzeitlich alle hin, die noch keinen Platz in der Stadt gefunden haben. Vielleicht auch eines Tages die, die auf teurem Boden keinen Platz mehr finden werden.
Wie schon jedes Neugeborene seinen Geruch mitbringt, besitzt jede Stadt ihr eigenes Geräusch. Die Künstlerin Christine Kubisch sammelte die Eigenheiten vielerorts und speist sie gemischt ein. Über die Induktionskopfhörer ins Ohr dringt der fragwürdige Ton ständig in unserem urbanen Umfeld zunehmender elektromagnetischer Felder. Die Wanderung durch die hier aufgebaute Stadt birgt weitere Impulse. An den Gestellen sind kleine Bildschirme befestigt, auf denen sich filmisch Stadtszenen abspielen. Nähert man sich ihnen, kommen neue Geräusche, Wortfetzen ins Spiel, mitunter auch zusammenhängende Rede oder ein Ausruf wie: »Mama, ich seh’ dich!«. Erstaunlicherweise ordnet sich Verkehrsgeräusch völlig unter.
Vom Publikum umkreist werden drei konzentriert arbeitende Musiker an verschiedenen Standorten im Saal. Martin Lorenz arbeitet mit von ihm bearbeiteten Schallplatten, Sebastian Berweck berührt Tonbänder, Andrea Neumann agiert mit verschiedenen Alltagsgegenständen, die sie mit gespannten Saiten in Berührung bringt. Unglaublich, welche Geräusche ein verprügelter Topfkratzer hervorbringt. Zusätzlich bedienen sich alle drei Künstler elektronischer Klänge.
Nichts dringt extra hervor, alles zusammen wird zu einem kratzigen Klangteppich. Es schnarrt, es knarrt, es klopft, es rauscht. Während der 80 Minuten - und damit bei der Premiere 20 Minuten zu langen - Inszenierung werden die Kopfhörer schwerer. Die sicher von den Künstlern geplante Überforderung lässt sich beim Publikum erkennen. Erschöpfung auch. Es gibt keine Nischen in dieser inszenierten Stadt, keine Möglichkeit, sich zu entziehen. Besucher hocken sich abgekämpft auf Bauplattenstapel. Eine Nebelmaschine ackert. Licht wird entzogen.
Ein mutiges künstlerisches Experiment glückte hier. Fernab vom Mainstream. Gezielt werden die Sinne angesteuert und mit Reizen strapaziert und bewusst gemacht. Die Künstler nehmen unsere Wahrnehmung aufs Korn, die, wenn man sich mal so umsieht, in der Großstadt erhebliche Defizite aufweist. Bei »Stadt (Land Fluss)« gelingt es, sie zu verändern.
Draußen auf dem Heimweg lauert nächtliches Stadtgeräusch. Es hört sich anders an. Aufdringlicher, unbarmherziger. Nein. Das jetzt nicht. Das war eben noch Kunst. Das muss jetzt weg. Die eigenen Kopfhörer helfen mit ersehntem Lieblingsgeräusch. Musik. Musik her!
Nächste Vorstellungen am 18. und 19. November, 20 Uhr, in den Sophiensaelen, Sophienstr. 18, Mitte
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1070511.unbarmherziges-geraeusch.html