Die EU bietet Großbritannien nach dem Brexit eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2020, wie EU-Unterhändler Michel Barnier am Mittwoch mitteilte. In dieser Übergangszeit müsse Großbritannien alle Regeln des EU-Binnenmarkts und der Zollunion einhalten. Auch neue Entscheidungen und die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshof sollen weiter gelten. Das Land werde aber keine Mitsprache in den europäischen Institutionen mehr haben.
Zuvor hatte das britische Kabinett erstmals darüber debattiert, welche wirtschaftlichen Beziehungen Großbritannien und die EU künftig haben sollen. Mays Sprecher blieb danach allerdings noch allgemein: Die Minister verfolgten ein gemeinsames Ziel, nämlich bestmögliche Beziehungen zur EU aufzubauen und gleichzeitig die Möglichkeit zu sichern, mit Drittstaaten Handelsabkommen zu vereinbaren. Genauere Details aber, wie das erreicht werden soll, blieb er schuldig. Klar ist jedoch, dass im Kabinett weiter erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen. Wie groß die Differenzen sind, zeigte sich bereits am Montag in einer Sitzung des Unterausschusses, der sich mit der Brexit-Strategie beschäftigt.
Die Schlüsselfrage lautet, wie nahe man an der EU bleiben wolle: Sollen die heutigen Regeln so weit wie möglich beibehalten werden oder wird sich das Land sukzessive von den europäischen Partnern entfernen? Die meisten Schwergewichte im Kabinett, darunter Außenminister Boris Johnson und Umweltminister Michael Gove, sind für eine deutliche »regulatorische Abweichung«. Demgegenüber befürworten pro-europäische Regierungsmitglieder wie Schatzkanzler Philip Hammond und Innenministerin Amber Rudd ein Abkommen, dass die britische Wirtschaft relativ eng an den europäischen Binnenmarkt bindet. Noch ist unklar, wie dieser Widerspruch aufgelöst werden kann.
Die Brexit-Anhänger bestehen darauf, dass Großbritannien in den Verhandlungen die besseren Karten in der Hand halten müsse. Nur widerspricht das den Erfahrungen aus der ersten Verhandlungsphase, als man den Forderungen Brüssels sukzessive nachgeben musste. Zudem gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass die britische Wirtschaft von einer Störung des Handels weit größeren Schaden davontragen würde als die EU-Länder. Eine neue Studie der Universität Birmingham hat mögliche Auswirkungen eines erschwerten Handels auf einzelne Länder untersucht. Die Autoren sind zum Schluss gekommen, dass über zwölf Prozent der britischen Wirtschaftsleistung gefährdet seien, während sich die potenziellen Einbußen in der EU auf weniger als drei Prozent belaufen würden. Betroffen sind insbesondere jene Regionen im Norden Großbritanniens, die wirtschaftlich bereits schwach sind und mehrheitlich für den Brexit gestimmt haben. »Das Vereinigte Königreich ist weit abhängiger von einem nahtlosen und umfassenden Freihandelsabkommen als andere EU-Mitgliedstaaten«, so die Autoren.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1074049.uneinig-ueber-die-zeit-nach-dem-brexit.html