nd-aktuell.de / 30.12.2017 / Kommentare / Seite 17

Sprach-Unkraut und Wortwürste

365 Tage, 365 Nächte

Regina Stötzel
Sprache ist ein erstaunliches Phänomen, das sich innerhalb kurzer Zeit zu wandeln vermag. Zwar beschäftigt sich die einschlägige Wissenschaft ausgiebig mit dem Verschwinden der Dialekte, dem Einfluss des Englischen oder den Auswirkungen der Kommunikation per SMS oder Chat. Doch ist sie bislang eine Erklärung schuldig geblieben, warum manche Wörter plötzlich wie vom Erdboden verschluckt werden, während andere Konjunktur haben. Warum bloß meint plötzlich die gesamte schreibende Zunft, das Wörtchen »gleichzeitig« ohne Not durch das - kurz zuvor noch in anderem Zusammenhang verwendete - »zeitgleich« ersetzen zu müssen?

Wie Unkraut wuchert die nicht nur optisch unschöne Kopplung von Namen mit allerhand, was die Namensträger fabriziert haben. Der »Strauß-Sohn« war gefühlt einer der ersten, der genau so affärenmäßig von sich reden machte. Seither wird der Nisman-Tod aufgeklärt, der Tugce-Täter abgeschoben und legt die Ribéry-Aussage den Robben-Ausfall in irgendeiner Ballspielpartie nahe. Falls Ihnen das in der Zeitung schon ganz normal vorkommt, bilden Sie einmal solche Wortwürste mit Ihrem eigenen Namen!

Selbst eine harmlose Präposition wird plötzlich in Teilen ihres Lebensraumes verdrängt, etwa so wie die hübschen roten Eichhörnchen, denen die mopsig-grauen mit Migrationshintergrund die Nüsse wegfressen. Denn heute wird niemand mehr »von« jemand anderem erschossen, sondern wahlweise »durch Terroristen«, »durch Jäger« oder »durch Polizisten«. Schnöde Tore werden »durch Mario Gomez« (haha, guter Witz!) geschossen. Und sogar Lieder sollen schon durch jemand gesungen worden sein, dass es einem durch Mark und Bein ging.

Haben Wörter wegen politischer Vorgänge Konjunktur, werden sie gern zum Wort des Jahres gekürt wie kürzlich das »Jamaika-Aus«. Während darüber - derzeit - niemand mehr spricht, ist eine auffällige Vermehrung des unauffälligen Adjektivs »umstritten« zu beobachten. Damit drückt man vermeintlich neutral aus, dass eine Debatte über einen Gegenstand stattgefunden hat. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass das Wort ausschließlich für Personen oder Vorgänge benutzt wird, für die der Autor keine Sympathien hegt. So stammen »umstrittene Schutzimpfungen« ganz sicher aus der Feder von Impfgegnern. In linken Zeitungen sind Bauprojekte eigentlich immer »umstrittene Bauprojekte«, während neuerdings auch Linksparteipolitikerinnen, deren Meinung man nicht teilt, zu »umstrittenen« werden. Dagegen trifft es naturgemäß nichts, was alle für schlecht oder dumm halten. »Der umstrittene US-Präsident« ist kaum vorstellbar.

Über das umstrittene Jahr 2017 sei an dieser Stelle geschwiegen.