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Exporte am Pranger

EU-Finanzminister kritisieren hohe deutsche Leistungsbilanzüberschüsse

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Bundesfinanzminister und seine Ministerkollegen aus der Eurozone sowie der EU treffen sich in der Regel einmal im Monat, in der Eurogruppe sowie im EU-Rat »Wirtschaft und Finanzen« (ECOFIN). Das erste Treffen im neuen Jahr wurde belebt durch einige Neue. Erstmals leitete am Montag der portugiesische Ressortchef Mário Centeno die Sitzung der Finanzminister. Vielleicht zum letzten Mal reiste dagegen jemand an, der fast noch Frischling ist: Peter Altmaier, geschäftsführender Bundesfinanzminister. In Brüssel drohte ihm Ungemach. Auf der ECOFIN-Sitzung wurde am Dienstag nach längerer Zeit mal wieder der hohe Exportüberschuss Deutschlands kritisiert.

Offizielle Zahlen liegen zwar noch nicht vor. Doch dürfte der hiesige Leistungsbilanzüberschuss nach Einschätzung der Deutschen Bank im vergangenen Jahr acht Prozent betragen haben. Damit hätte Deutschland den 2011 von der EU-Kommission festgelegten Schwellenwert von maximal sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erneut deutlich überschritten.

So dürfte sich Deutschland auch im zurückliegenden Jahr den inoffiziellen Titel des »Exportweltmeister« verdient haben. Eine einheitliche ökonomische Meinung zu den Ursachen und Auswirkungen globaler Leistungsbilanzungleichgewichte gibt es allerdings nicht. Kritiker befürchten, dass die deutsche Exportflut die Märkte in vielen Ländern überschwemmt. Auf deren Kosten: In der zurückliegenden Dekade verdoppelte sich laut dem Internationalen Finanzinstitut (IIF) die Schuldenlast aller Staaten auf über 60 Billionen Dollar.

Nahezu unstrittig sei jedoch, dass dauerhafte Ungleichgewichte innerhalb einer Volkswirtschaft deren Anfälligkeit für Krisen erhöhen, stellen die Wirtschaftswissenschaftler Bastian Alm und Sebastian Weins fest. Beide forschen an der Universität von Kalifornien. Aber: »Leistungsbilanzungleichgewichte sind längst kein rein deutsches, sondern vielmehr ein globales Phänomen«, so Alm und Weins. Die ebenso exportorientierten Niederlande und Irland liegen mit jeweils zehn Prozent Überschuss wie auch die Schweiz (neun Prozent) deutlich über dem ohnehin recht hoch angesetzten EU-Schwellenwert. Auch Norwegen und Dänemark verfehlen die Sechs-Prozent-Marke. Die neben Deutschland größte Exportwirtschaft China hat dagegen durch einen größeren Import das Ungleichgewicht zurückgefahren. Der Leistungsbilanzüberschuss beträgt im Reich der Mitte nur noch zwei Prozent.

Am anderen Ende der Skala stehen die Vereinigten Staaten und Großbritannien. Ihre seit längerem miserable Außenhandelsbilanz weist ein Minus von drei (USA) und fünf Prozent (Großbritannien) auf. In der EU-28 haben ansonsten nur noch Frankreich, Finnland und Polen ein Defizit. Es sind nämlich vor allem Schwellen- und Entwicklungsländer, die mehr im- als exportieren.

Bereits in der vergangenen Woche war eine Passage aus der Abschlusserklärung des Treffens der EU-Finanzminister von einer Nachrichtenagentur veröffentlich worden. »Mitgliedstaaten mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen sollten die Voraussetzungen schaffen, um das Lohnwachstum unter Berücksichtigung der Rolle der Sozialpartner zu fördern«, hieß es darin. Auch sollten Investitionen vom Staat gefördert werden. Dies hatte schon der Internationale Währungsfonds von der Bundesregierung gefordert.

Diese sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Das Leistungsbilanzsaldo sei »vor allem das Ergebnis einer ausgesprochen wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft«. Die politischen Handlungsmöglichkeiten seien dagegen »sehr begrenzt«, heißt es aus Altmaiers Finanzministerium.

Alm und Weins, ersterer im Hauptberuf Referent im Bundeskanzleramt, schlagen in der Januar-Ausgabe des »Wirtschaftsdienstes« - dem Zentralorgan der deutschen Ökonomie - einen multilateralen Ansatz vor, um mehr Ausgewogenheit zwischen den Staaten herzustellen. Die Welthandelsorganisation WTO solle ihre handelspolitischen Überprüfungen entsprechend erweitern.

Nun gilt die WTO vielen als zahnloser Tiger. Immerhin steigt jetzt der Druck auf Deutschland auch innerhalb der EU. Der neue Leiter der Finanzministerrunde, Mário Centeno, hat in Portugal gezeigt, dass mit einer energischen öffentlichen Ausgabenpolitik positiv Einfluss auf die Wirtschaft genommen werden kann.

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