Wer zu spät mit seinen Unterlagen in die Zentrale Wahlkommission in Moskau kam, hat nach diesem Mittwoch keine Chance mehr - jeder andere als Putin allerdings auch nicht. Das gilt nach der jüngsten Attacke aus den USA mit dem »Kremlbericht« wohl mehr noch als vorher. »Antirussische Hysterie« und »politische Paranoia« aus den USA, wie es in örtlichen Medien hieß, dürften Russland eher zusammenrücken lassen.
Mit seiner Schwarzen Liste wartete das offizielle Washington zum Ende der Registrierung der Präsidentschaftskandidaten auf. Das ließ sich durchaus als international einzigartiger Beitrag zum Wahlkampf in einem anderen Staat verstehen. Aus dem Internationalen Komitee des russischen Föderationsrates hieß es denn auch, der Vorgang sei »die gröbste Einmischung« in innere russische Angelegenheiten und würde formell einen Abbruch der bilateralen Beziehungen bedeuten.
Präsident Wladimir Putin erkannte auf einen »unfreundlichen Akt«. Der Kandidat für eine weitere Amtszeit im Kreml fand es aber auch etwas peinlich, dass ausgerechnet er eines Platzes auf der Liste mit mehr als 200 Namen russischer Polit- und Wirtschaftsprominenz nicht gewürdigt wurde. Er tröstete mit dem Hinweis, hinter allen, die im Kremlbericht aufgeführt seien, stünden »normale Bürger unseres Landes, Arbeitskollektive, ganze Industriezweige«. Das heiße, »wir alle, alle 146 Millionen«, würden sich auf irgendeiner Liste befinden.
Boris Titow, Ombudsmann der russischen Wirtschaft und Gegenkandidat Putins, wunderte sich nur über seinen Platz auf der Liste und will einfach weitermachen. Den Namen seiner »Partei des Wachstums« möchte er als deren Vorsitzender programmatisch und im Wortsinne verstanden wissen. Das meint die Zukunft der Wirtschaft ebenso wie seine eigene äußere Erscheinung. Jüngere Fotos zeigen den Unternehmer mit Bart. Bis zum Wahltag - am besten bis zum Sieg - wolle er sich nicht rasieren, tat er kund. Statt der für die Registrierung erforderlichen 100 000 Unterschriften hielt er 130 000 bereit. Im Kampf um die Präsidentschaft kommt Titow auf höchstens ein halbes Prozent. Wie alle Kandidaten - außer Amtsinhaber Putin mit stets deutlich über 70 Prozent liegenden Zustimmungsraten - steht er auf verlorenem Posten vor den Toren des Kreml.
Von knapp 20 Kandidaten hielt das Russische Meinungsforschungszentrum WZIOM in seiner Umfrage Mitte Januar ohnehin nur sechs der Erwähnung wert. Da rangeln in der Antwort auf die Sonntagsfrage der Kandidat der Kommunistischen Partei, Pawel Grudinin, und der ultranationalistische Liberal-Demokrat Wladimir Schirinowski mit knapp über sechs Prozent um Platz zwei in der Wählergunst. Die medial größere Aufmerksamkeit erregende Xenija Sobtschak bringt es auf 1,2 Prozent, der liberale Jabloko-Mitbegründer Grigori Jawlinski steht bei 0,8 Prozent. Weitere Bewerber fallen unter jene »anderen Kandidaten«, für die sich 0,6 Prozent der 3000 befragten russischen Wahlbürger über 18 Jahren aussprachen.
Insbesondere im Westen ist Alexej Nawalny als Kreml-Kritiker viel beachtet. Ihm bleibt jedoch eine Wahlteilnahme unter Hinweis auf Vorstrafen und damit ein Platz in der Chancenstatistik verwehrt. Nimmt man quasi als Ersatz das erfragte Vertrauen in Politiker landet auch er aber nur bei einem Prozent, während Spitzenreiter Putin 58,9 Prozent aufweisen kann. Nachdem Russlands Oberstes Gericht den Ausschluss Nawalnys bestätigte, sucht dieser Hilfe beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem russischen Verfassungsgericht. Selbst engste Vertraute nennen die Erfolgsaussichten jedoch »miserabel«.
Nicht zufällig fehlt es da gerade Karen Schachnasarow an Dramatik. Der vielfach ausgezeichnete Regisseur und Drehbuchautor beklagt das Fehlen würdiger Konkurrenten des amtierenden Präsidenten bei den Wahlen. Die kann er weder unter den registrierten noch unter den abgewiesenen Kandidaten entdecken: »Weder in der Opposition noch in der Systemopposition. Das ist alles nicht sehr ernsthaft.«
Systemopposition meint in der russischen Politik jene Parteien und Politiker, die in den Parlamenten vertreten sind - die KP besetzt unter ihrem langjährigen Partei- und Fraktionschef Gennadi Sjuganow seit dem Ende der Sowjetunion faktisch offiziell die linke, die Liberal Demokratische Partei (LDPR) des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski die rechte Flanke.
Es sei selbst auf der Basis einer bekannten Partei »äußerst schwierig«, in Russland erfolgreich für die Präsidentschaft zu kandidieren, analysierte die »Nesawissimaja Gasjeta« in einem redaktionellen Beitrag am Beispiel des KP-Kandidaten Grudinin. Dieser sei Unternehmer, die Kommunisten böten ihm die Vorzüge einer im Parlament vertretenen Partei und Zugang zu ihrem Elektorat. Er könne für sie Wähler aus anderen Lagern mobilisieren. Das würde ein Zeichen setzen, da die Kommunisten seit 15 Jahren Wähler verlieren. Staatsdiener ziehe es zu Putin und »Geeintes Russland« als Partei der Macht, jüngere Menschen schauten sich um nach dynamischeren und radikaleren linken Bewegungen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1078011.auf-verlorenem-posten-vor-dem-kreml.html