Blumen für Hatun Sürücü
23-Jährige wurde vor 13 Jahren von ihrem Bruder erschossen
Der Gedenkstein für Hatun Sürücü liegt am Rande der Wohnsiedlung, in der die junge Frau früher einmal gelebt hat. Am Morgen ihres 13. Todestages liegen hier ein Kranz mit violetten Tulpen von den Grünen und ein Rosengesteck von der Linkspartei. Zum offiziellen Gedenken am Nachmittag hatten unter anderem der Schwulen- und Lesbenverband (LSVD) und die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes aufgerufen.
Am Gedenkstein führt ein schmaler Weg vorbei, den Bewohner der Siedlung nehmen, wenn sie zur Bushaltestelle laufen. Der Bus fährt hier, in der Oberlandstraße in Tempelhof, nur alle 20 Minuten. Einige Passanten drehen kurz den Kopf, schauen, warum Blumen am Wegesrand liegen, gehen weiter. Zwei ältere Frauen bleiben stehen. »Ach, ist das schon wieder so lange her«, sagt die eine. »Das Kind wollte ja die Familie haben, hat sie aber nicht gekriegt.«
Hatun Sürücü, eine türkeistämmige Deutsche kurdischer Herkunft, wurde an dieser Stelle am 7. Februar 2005 von ihrem jüngsten Bruder Ayhan erschossen, dreimal in den Kopf. 23 Jahre war die junge Mutter alt. Die Tat gilt als Ehrenmord: Sürücü wurde mit 16 Jahren in der Türkei mit ihrem Cousin verheiratet. Kurz nachdem sie schwanger wurde, trennte sie sich, legte das Kopftuch ab und zog zurück nach Berlin, wo sie ihren Sohn zur Welt brachte. Zuerst wohnte sie bei ihren Eltern, zog dann mit dem Sohn in eine eigene Wohnung. Als sie starb, stand sie kurz vor dem Abschluss ihrer Lehre als Elektroinstallateurin.
Ayhan, der damals 18 Jahre alt war, wurde für den Mord zu neuneinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt. Anschließend wurde er in die Türkei abgeschoben. Auch die beiden älteren Brüder standen vor Gericht, wurden aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Nach einer Revision sollte der Prozess neu aufgerollt werden, die Brüder befanden sich aber mittlerweile in der Türkei. Dort wurden die beiden 2015 wegen Mordes angeklagt und 2017 freigesprochen.
13 Jahre nach Hatun Sürücüs Tod kündigte das Bezirksamt Neukölln nun an, eine Autobahnbrücke an der Sonnenallee nach der Frau zu benennen. Das stieß auf unterschiedliche Reaktionen. Jörg Steinert, Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg, sagte dem »nd«: »Die Benennung der Autobahnbrücke ist im Vergleich ein Fortschritt, ein gangbarer Weg.« Ursprünglich hätte ein Fußgängersteg über die Autobahn am Tempelhofer Feld nach Sürücü benannt werden sollen. Doch da es nach dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld vorerst keine Randbebauung geben wird, wird es auch keinen Fußgängersteg geben. »Die anderen Vorschläge waren Sackgassen im Industriegebiet. Das hätten höchstens ein paar Lkw-Fahrer mitbekommen«, sagte Steinert.
Susanna Kahlefeld, die für die Grünen in Neukölln im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, hatte zur Namensgebung auf dem Kurznachrichtendienst Twitter geschrieben: »Wie wahnsinnig trist, traurig, gefühllos.« Petra Koch-Knöbel vom Berliner Arbeitskreises (AK) gegen Zwangsverheiratung sagte dem »nd«: »Uns wäre eine repräsentativere Einrichtung lieber gewesen« - beispielsweise eine Schule oder Bibliothek. Eine Gedenktafel an einer Autobahn sei zudem kaum sichtbar, dort würde wohl niemand anhalten und aussteigen, um sie zu betrachten. Der AK fordert zudem eine finanzielle Absicherung von Beratungs-, Krisen- und Präventionseinrichtungen für Unterstützung bei Gewalt im Namen der Ehre sowie Zwangsehen.
Der Mord an Sürücü hatte eine Debatte um Zwangsehen ausgelöst. Zum zehnten Todestag hatte Monika Michell, damals Sprecherin des AK, erklärt, seit Sürücüs Tod habe sich auf dem Gebiet kaum etwas verbessert. 2013 habe es allein Berlin 460 Zwangsverheiratungen gegeben. Neuere Zahlen gibt es für die Hauptstadt noch nicht. Der Arbeitskreis führt aber derzeit Befragungen für eine neue Erhebung durch. Veröffentlicht werden soll das Ergebnis im Sommer.
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