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Alles für ein Buch …
Ein Faksimile aus dem ersten in kyrillischer Schrift gedruckten Buch: »Octoechos«, eine orthodoxe Lithurgie, wurde 1491 von Schweipolt Viol in Krakau verlegt. Kaum zwanzig Exemplare soll es auf der Welt geben, und eines soll tatsächlich auf dem Moskauer Trödelmarkt Nowoprodeskowo aufgetaucht sein. Das ist der Hintergrund für die Erzählung »Schweipolt« von Gusel Jachina, die viele Leser hierzulande durch ihren großartigen Roman »Suleika öffnet die Augen« kennen.
Vorliegende Erzählung, eindrucksvoll auf ihre Weise, ist zuvor entstanden. Um einen Mann namens Seregin geht es, der nur noch tausend Rubel in zerknitterten Scheinen in der Tasche hat. Dafür hätte er sich gerade mal ein Mittagessen leisten können. Die Bahn zum Trödelmarkt verlässt er als Schwarzfahrer, was nicht ungefährlich ist. Und dann ... Keinesfalls soll hier die ganze Geschichte verraten sein, die im Moskauer Winter spielt und tatsächlich tragisch endet. Aber gesagt sein muss, dass darin mehrmals, kursiv gedruckt, das Wort »Heidelberger« auftaucht, wobei die Autorin nicht wissen konnte, dass ihr Text auf Deutsch tatsächlich auf einer »Original Heidelberger Cylinder«, Baujahr 1952, gedruckt werden würde.
Seregin würden Tränen in die Augen steigen. Zu Beginn der Erzählung erhebt er sich in seiner Werkstatt an den Standfüßen seiner kaputten »Heidelberger« von einem Stapel Papier, was immer noch besser war, als auf dem Zementfußboden zu nächtigen. Dann rüttelt er an der von außen verschlossenen Tür. »Noch mal rein lasse ich dich aber nicht«, warnt der Wachmann. Drei Monate schon ist er die Miete für die Werkstatt schuldig geblieben.
Dabei stammt Seregin aus einer »alten Buchdynastie«. Gusel Jachina führt uns diese Tradition vor Augen, die den Mann immer noch wärmt, nachdem er im wilden Kapitalismus der 1990er Jahre, wie andere auch, sein Glück versuchte in der Welt des großen Geldes und bald alles verlor. Nur die kaputte »Heidelberger« war ihm geblieben und seine Liebe zum Buch, der er am Ende alles opfert.
Gleichsam ein Echo darauf war die besondere Liebe, die Gusel Jachinas Manuskript in der Berliner Katzengraben-Presse zuteil geworden ist. Jedes der 999 Exemplare - mit den Schriften »Bernard MT Condensed« und »Meta Serif Pro Light« auf »Metapaper rough Extrawhite« gedruckt - ist auf eine Weise fadengebunden, wie es nur per Hand möglich ist. Den dazugehörigen Papierschubern, natürlich handgenäht, wurde jeweils eine »Eiskante« aufgeklebt, zuvor wohl mit der Nagelschere ausgeschnitten.
Denn Eis spielt im Text eine große Rolle, weshalb Verleger Christian Ewald auch Eisstrukturen aufs Papier bringen wollte. Wie macht man das im August? Hunderte Mal hat er eine Glasplatte mit Glasreiniger besprüht und in den Tiefkühlschrank gelegt, bis sich Schicht für Schicht eine Eisschicht bildete, die das Licht spiegelte. Die Fotos davon wurden dann zum Hintergrund für die Illustrationen, für die Ewald den kyrillischen Text verwandte. Wer aufmerksam schaut, wird in den fortlaufenden Initialen das Wort »Schweipolt« erkennen. Und wer gut genug Russisch kann, um die hervorragende Übersetzung von Judith Merkushew zu würdigen, hat zusätzlichen Genuss. Denn Gusel Jachina ist eine Meisterin des Beschreibens, sodass wir alles vor uns sehen. Wie sie uns zum Beispiel an Seregins Seite auf den Trödelmarkt führt, weht uns mit dem Bild der Armut eine Trauer an.
Von einem literarischen Wettbewerb zum Thema »Werte« inspiriert, fragt die Erzählung nach dem, was bleibt, wenn nur noch Verdienen und Verkaufen zählt. Für ein Buch mehr zu tun, als es gemeinhin üblich ist, mag eine Widerstandshaltung sein.
Gusel Jachina: Schweipolt. Eine Winter-Tragödie. Aus dem Russischen von Judith Merkushew. Illustrationen Christian Ewald. Katzengraben-Presse. 30 S., br., 78 €. Bestellungen über den Verlag: Katzengraben 14, 12555 Berlin, Tel.: 030 655 5880.
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