Was hätte Frank Castorf getan?
»Rotes Kultursofa«: Berlins Kultursenator Klaus Lederer probt den Bühnentalk
Ein Politiker, der live vor Publikum mit Gästen diskutiert? Ein Schelm, wer da an Gregor Gysi denkt, der ja seit Ewigkeiten Prominente aller Disziplinen auf großer Bühne »trifft«. Beim Berliner Kultursenator Klaus Lederer, der am Mittwochabend am Franz-Mehring-Platz die ersten Gäste auf seinem »roten Kultursofa« begrüßte, war alles noch ein bisschen kleiner, aber durchaus sehenswert und auch unterhaltsam.
Zwar begann der Abend etwas schleppend, als Lederer seinen Gästen - Ben Hartmann von der Berliner Irgendwie-Punk-Band »Milliarden« und Ben Heps von der musikalisch ähnlichen Gruppe »Vizediktator« - recht allgemeine Fragen zum Verhältnis von populärer Musik und Revolte sowie Lebensunterhalt durch Kunst versus kulturindustrielle Vereinnahmung stellte. Doch lief sich die Bühne anhand der »großen Themen« warm. Und als das Gespräch dann beiläufig auf die kurzzeitige Besetzung der »Volksbühne« durch Kritiker des unglücklichen Ex-Intendanten Chris Dercon im Herbst 2017 kam, wurde die Frage nach dem Politischen in der Kultur konkret - und die Veranstaltung lebhaft.
Ben Hartmann, dessen 2013 gegründete Band zu den erfolgreicheren Acts der Stadt gehört und einen Vertrag mit dem Branchenriesen Universal hat - »mir hat noch niemand gesagt, was wir machen sollen«, sagt er dazu - vertrat dabei eine sozusagen gesinnungsethische Haltung: Ihn habe dieser »befreiende Moment« fasziniert. Deswegen trat seine Gruppe mit der legendären Band »Ton, Steine Scherben« vor dem Theater auf: »Es ging darum, uns mit dieser Geste zu solidarisieren«.
Ben Heps von »Vizediktator« hingegen konnte nichts Politisches in der Aktion erkennen: Es sei eher eine »48-Stunden-Party« gewesen. Und Lederer wurde kulturdemokratietheoretisch: Er sah in der Besetzung eine Art Privatisierung öffentlichen Raums, die er auch politisch problematisch fand. Ein pfiffiger Dercon, pflichtete er Heps bei, hätte die Aktion in sein Programm eingebaut. Frank Castorf hingegen hätte das Haus »sofort räumen lassen«. Hartmann verteidigte die Geste der »Hingabe« weiter, schloss sich dieser Einschätzung dann aber an: »Klar, Kunst funktioniert nicht demokratisch«, das habe Castorf immer gewusst.
Ist das tatsächlich so? Auch Politische? Dazu hätte man gerne mehr gehört, durchaus auch im Allgemeinen. Zumal das Verhältnis von Kunst und Demokratie unmittelbar nach der akademischen Frage, was Castorf vergangenen Herbst getan hätte, wiederum sehr konkret aufkam: Warum saßen beim Thema Kunst und Politik zwei weiße Männer auf dem Sofa - bei einer Einladung in geschlechtergerechter Sprache?
Für »Vizediktator« Ben Heps bildet dies die Männerdominanz in der Musikszene treffend ab: »Je größer das Festival, desto weniger ist das Thema«, sagte er lakonisch. Und als Hartmann dem zwar beipflichtete, aber eine unglückliche Bemerkung über »Frauen, die wie Männer aussehen« machte, kam es zu einer Publikumsintervention, die in eine Diskussion über Quotierungen mündete: Während Hartmann solche »Krücken« skeptisch sieht, sagte Lederer mit Nachdruck, es gebe keinen unpolitischen Horizont ästhetischer Qualität. Sonst müsse man bei 90 Prozent Männern auf den Bühnen ja annehmen, dass Frauen keine gute Musik machten. Deshalb gebe das landeseigene Music Board »kein Geld für ein Festival, wenn Frauen nicht zu 50 Prozent beteiligt sind«. Dafür bekam der Senator Szenenapplaus.
Obwohl der Saal nicht aus den Nähten platzte, ist Lederers Sofapremiere gelungen. Es war dem Gastgeber der Spaß anzumerken, endlich einmal selbst zu fragen, statt immer nur befragt zu werden. Seine Leidenschaft fürs Thema führte mitunter zu einem intervenierenden, ein wenig an Michel Friedman zu seinen besten Zeiten erinnernden Moderationsstil; doch hatte ja dieser nicht umsonst viele Fans. Wird das Format - wie angekündigt - weitergeführt, könnte es sich etablieren. Inoffizieller Arbeitstitel: Gysi für Jüngere.
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