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»Wir wollen den Diskurs ändern«

Die zweite Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen trifft sich, um gemeinsam politisch wirksam zu werden

  • Samuela Nickel
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf dem politischen Parkett tanzt ein neuer Akteur: die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen. Menschen mit Migrationsgeschichte, die meist ehrenamtlich zusammenarbeiten, um in ihren Kommunen zu arbeiten, gibt es schon lange - nun schließen sich die Selbstorganisationen zu einer größeren Struktur zusammen, um auch in der breiteren Öffentlichkeit gehört zu werden.

Sie sprechen von Demokratiedefizit und Repräsentationslücken in Deutschland, wenn 23 Prozent der Bevölkerung mit sogenanntem Migrationshintergrund in allen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen kaum vertreten sind. »Jeder Vierte in Deutschland hat Migrationsgeschichte, aber die Debatten über Asyl und Einwanderung werden ohne Repräsentanten der Betroffenen geführt«, kritisiert Marta Neüff, Sprecherin des Polnischen Sozialrats, am Montag zu Beginn der zweitägigen Konferenz. »Das möchten wir heute ändern.«

Die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen findet zum zweiten Mal in Berlin statt. Vorbereitet wurde die Konferenz unter anderem vom Bundesverband russischsprachiger Eltern, dem Verein DeutschPlus, den »neuen deutschen organisationen« und der Iranischen Gemeinde in Deutschland. Rund 60 Organisationen vielfältiger Diaspora-Communities aus ganz Deutschland treffen sich, um zu diskutieren und zu debattieren. Erwartet werden ebenfalls Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Annette Widmann-Mauz (CDU), und Markus Kerber, der Staatssekretär des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat.

Die erste Konferenz wurde im vergangenen November von der Türkischen Gemeinde in Deutschland initiiert und durch das Bundesprogramm »Demokratie Leben!« des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt. Die Konferenz soll ein regelmäßiges integrationspolitisches Diskussionsforum werden, um Strategien zu entwickeln, um politisch Verantwortliche auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zu erreichen. Die Organisationen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte funktionieren dabei als Schnittstelle zwischen Politik und Kiez, zwischen den Entschlüssen der Ministerien und dem gelebten Alltag.

Generationen verschiedenster Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund aus unterschiedlichen Ländern und mit diversen Organisationsstrukturen kommen bei dieser Konferenz zusammen. Während Migrantenorganisationen meist von Menschen gegründet werden, die in ihren Herkunftsländern politisiert wurden und für die der Herkunftsbezug teilweise immer noch eine Rolle spielt, haben die Mitglieder von neuen deutschen Organisationen oft selbst keine erlebte Migrationserfahrung. Was die unterschiedlichen Organisationen verschiedenster Diaspora-Communities jedoch miteinander teilen, ist das Erleben von Ausgrenzung und Rassismus, das Engagement dagegen und der Einsatz für den Abbau von struktureller Diskriminierung.

So fordern sie bei der Bundeskonferenz die Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland. Um eine gesetzliche Grundlage für die eingeforderte gleichberechtigte Teilhabe von Menschen aus Einwandererfamilien zu sichern, schlagen die Organisationen unter anderem ein Partizipationsgesetz auf Bundesebene vor. Auch die Einrichtung eines »Partizipationsrats Einwanderungsgesellschaft« wird gefordert. Dieser soll, ähnlich wie der Deutschen Ethikrat, die Politik in migrations- oder asylpolitischen Fragen wie beispielsweise dem Familiennachzug für Geflüchtete beratend begleiten. Kritisiert wird ebenso die bisherige Antidiskriminierungspolitik. Man habe zwar Gleichbehandlungsgesetze, aber auch eine Realität, die diesen klar widerspricht, sagt Marianne Moudoumbou von der Pan-African Women's Empowerment and Liberation Organisation.

Die Bundeskonferenz hat sich auch als Antwort gegründet auf die AfD und die vermehrte Übernahme des rassistischen und nationalistischen Sprachduktus von anderen Parteien. Vertreter der Migrantenorganisationen berichten ebenso von einem Anstieg der rassistischen Übergriffe, seitdem Pegida und AfD öffentlich auftreten. In Zeiten des Rechtsrucks sei es Moudoumbou zufolge wichtig, dass auch Migrantenorganisationen als gesellschaftspolitische Akteure agieren können. Denn die sogenannte Integrationsdebatte sei, wie sie bisher laufe, nicht mehr zeitgemäß. »Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe«, sagt die Sprecherin der Panafrican Womens Empowerment and Liberation Organisation. »Es wird einerseits dazu aufgerufen, Fluchtursachen zu bekämpfen, ohne jedoch andererseits das Wirtschaftssystem infrage zu stellen. Das reicht uns nicht.«

Die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen hat sich als neue Allianz der Zivilgesellschaft zusammengeschlossen. Die Migrantenorganisationen funktionieren dabei als Brücke zwischen Menschen mit Einwanderungsgeschichte der zweiten oder dritten Generation und jenen ohne - zwischen Alteingesessenen und Neuangekommenen, die eine Flucht hinter sich haben. »Im öffentlichen Diskurs sind Migranten oft nur Objekte - entweder als Sicherheitsrisiko oder Humankapital. Deswegen haben wir die Bundeskonferenz ins Leben gerufen«, sagt Cihan Sinanoğlu, Sprecher der Türkischen Gemeinde Deutschland. »Wir wollen den Diskurs gemeinsam ändern.«

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