Den Brotkorb höher gehängt
Trotz Rücktritts der Regierung gibt es weiter Demonstrationen in Jordanien
Wer in Jordaniens Städten durch einen Supermarkt geht, bekommt schnell den Eindruck, den Jordaniern gehe es gut: Die Preise sind vergleichbar mit jenen in Deutschland; nur Grundnahrungsmittel wie Brot und Milch sind günstig zu haben. Bisher.
Denn der Bevölkerung geht es alles andere als gut: Der Durchschnittsjordanier verdient umgerechnet wenige hundert Euro im Monat; 18,4 Prozent der 10,1 Millionen Jordanier sind nach Angaben des Statistikamtes arbeitslos. »Im Durchschnitt geben die Leute zwischen einem Drittel und der Hälfte ihres monatlichen Einkommens für Ernährung aus«, sagt dessen Direktor Kassem Said al-Zoubi. »Bei Arbeitslosen und Menschen mit sehr niedrigen Einkommen reicht die Quote sogar bis zu 80 Prozent.«
Es sind Zahlen, die erklären, warum zur Zeit überall in Jordanien Zehntausende auf die Straßen gehen und gegen die Regierung demonstrieren: Als Bedingung für Kredite fordert der Internationale Währungsfonds (IWF), dass die Steuern erhöht, die Subventionen auf Grundnahrungsmittel zurückgefahren werden. Nun sollte die Regierung von Premierminister Hani al-Mulki diese Forderungen umsetzen. Die Einkommensteuer sollte um fünf Prozent steigen, der jährliche Freibetrag, der höher liegt als in Deutschland, sollte stark heruntergesetzt werden. Zudem sieht das Sparpaket vor, dass die Preise auf Grundnahrungsmittel, Benzin, Gas und Strom erhöht werden. »Unseren Berechnungen zufolge wären damit bei Menschen, die weniger als umgerechnet 10 000 Euro im Jahr verdienen, die Ausgaben um 13 Prozent gestiegen«, sagt Zoubi. »Bei Jordaniern mit einem Einkommen darüber würden die Ausgaben um 18 Prozent steigen.«
Es ist ausgesprochen unüblich, dass in Jordanien gegen die Regierung demonstriert wird. Viele Jordanier sind stolz darauf, in einem der stabilsten Länder in der arabischen Welt zu leben, obwohl nicht nur die Armut groß ist, sondern auch immense Probleme zu stemmen sind: Mindestens eine Million Flüchtlinge aus Syrien haben im Land Zuflucht gesucht; die Menschen leben in Flüchtlingslagern an der syrischen Grenze, aber auch in den Städten. Für sie ist offiziell UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, zuständig.
Doch die Hilfen reichen bei weitem nicht, um die Versorgung sicherzustellen, in vielen Bereichen schießt der jordanische Staat zu. Das Ergebnis ist eine ständig steigende Staatsverschuldung, die nun dazu führte, dass man erneut beim Internationalen Währungsfonds um Unterstützung bitten musste.
Vor allem König Abdullah II., der in politischen Fragen das letzte Wort hat, das Tagesgeschäft aber seinen Regierungschefs überlässt, machte kaum einen Hehl daraus, dass ihm das Sparpaket ziemlich zuwider ist, und er Verständnis für die Proteste hat. Nachdem die Polizei in einigen Städten Tränengas gegen Demonstranten eingesetzt hatte, ordnete er Zurückhaltung an: »Es ist das Recht der Öffentlichkeit, zu demonstrieren«, so Abdullah, der in der Bevölkerung wegen seines volksnahen und gleichzeitig staatsmännischen Auftretens beliebt ist. Für Probleme und Krisen werden in der Regel andere verantwortlich gemacht - in diesem Fall Mulki und der IWF. Beide hätten in den Verhandlungen nicht genug auf die Bedürfnisse der Bevölkerung geachtet, warf ein Kommentator im Fernsehen Mulki vor. Eine Sichtweise, die von anderen Medien übernommen wurde.
Mulkis Job soll nun der bisherige Bildungsminister Omar Razzaz übernehmen, der unter anderem für die Weltbank arbeitete. Doch ob er das Sparpaket wird verhindern können, ist fraglich. Einsparungen bei Subventionen und Sozialleistungen führen in der arabischen Welt grundsätzlich immer zu Protesten und politischen Krisen und haben das Potenzial, Länder zu destabilisieren. In Ägypten sorgten vom IWF veranlasste Sparmaßnahmen in den vergangenen beiden Jahren für eine erhebliche Verschlechterung der sozialen Lage; Proteste werden dort jedoch durch die Regierung unterdrückt. Razzaz kündigte an, dass er nun versuchen werde, andere Sparmöglichkeiten zu finden.
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