Beschwerden aus Bagdad

Iraks Regierung: Übergabe von Ali B. an Deutschland war Rechtsverstoß

  • Oliver Eberhardt, Jerusalem
  • Lesedauer: 3 Min.

Die irakische Zentralregierung in Bagdad hat missbilligt, dass sie vor dem Eintreffen der deutschen Bundespolizei in Erbil, Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, nicht informiert, nicht gefragt worden sei: »Es gab kein Auslieferungsersuchen, wir wurden nicht einmal informiert, dass deutsche Polizisten auf dem Weg in unser Land sind, um einen unserer Staatsbürger festzunehmen,« sagt Justizminister Haidar al-Zamily gegenüber »nd«: »Jeder hat aber das Recht darauf, dass Regeln eingehalten werden.«

Wie lange es gedauert hätte, bis über ein Auslieferungsersuchen entschieden worden wäre? »Eine Stunde, vielleicht zwei«, sagt Zamily, und gesteht offen ein, dass man Ali B. keine Träne nachweint, im Fall einer Anklage in Irak die Todesstrafe ziemlich sicher gewesen wäre; es geht vor allem um Politik.

Nach der Parlamentswahl im Mai befindet sich Irak in einer tiefen innenpolitischen Krise. Die unterlegenen Parteien zweifeln das Wahlergebnis an, fordern eine Neuauszählung der Stimmen. Doch das ist nun daran gescheitert, dass am Wochenende ein Lagerhaus abbrannte, in dem ein Großteil der Wahlzettel gelagert wurde. Und im Norden des Landes, in Irakisch-Kurdistan nutzt nun die dortige Führung die Ereignisse um Ali B. dazu, sich in Szene zu setzen: Schnell nahmen kurdische Polizisten den jungen Mann fest; dabei habe man sich regelrecht ein Katz-und-Maus-Spiel mit einer aus Bagdad entsandten Sonderkommission der irakischen Kriminalpolizei geliefert, berichteten kurdische und arabische Medien. Schon kurz darauf traf dann Bundespolizeichef Dieter Romann zusammen mit Angehörigen eines Sondereinsatzkommandos am Flughafen Erbil ein und wurde dort vom kurdischen Innenminister Abdulkarim Sultan Sindschari empfangen.

Schon zuvor hatten Sindschari und der kurdische Regierungschef Nechschirwan Barzani den Zorn der Zentralregierung erregt, als man in einer Pressekonferenz die Festnahme bekannt gab und sich dabei wie die Regierung eines unabhängigen Landes darstellte. In Bagdad hatte man mehrere Tage lang dazu nur das Nötigste gesagt; man wolle eine ohnehin schon brenzlige Situation nicht weiter entfachen: Nachdem die Bevölkerung von Irakisch-Kurdistan im Herbst in einem Referendum für die eigene Unabhängigkeit gestimmt hatte, gab es gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Peschmerga und Truppen der Zentralregierung; über die kurdischen Flughäfen wurde von Bagdad ein Flugverbot verhängt.

Dass man in der Hauptstadt nun aber auch offene Kritik übt, liegt daran, dass die kurdische Führung die direkte Interaktion des Bundespolizeichefs mit der kurdischen Führung unter Umgehung der Behörden der Zentralregierung als Akt der Anerkennung eines unabhängigen Kurdistan durch die Bundesregierung wertet: »Das deutsche Innenministerium ist ja offensichtlich zu dem Ergebnis gekommen, dass für eine rechtlich korrekte Auslieferung ein Auslieferungsersuchen in Bagdad nicht erforderlich ist,« sagt Sindschari.

Bemerkenswert ist dabei, dass das Bundesinnenministerium erklärt, es habe sich nicht um eine Auslieferung, sondern um eine Abschiebung gehandelt. Justizminister Zamily be-tont aber, dass dies aus Sicht der Zentralregierung ohnehin keinen Unterschied macht; aus seiner Sicht dürfen die Kurden auch keine Personen abschieben: »Und erst recht keine irakischen Staatsbürger. Kurdistan ist Teil Iraks, das hat auch die Bundesregierung immer wieder klargestellt.«

Gleichzeitig kritisiert die irakische Regierung, dass sich an Bord eines Passagierflugzeuges Beamte eines Sondereinsatzkommandos befunden haben; »wir werden genau prüfen, ob diese Personen irakischen Boden betreten haben, und ob sie dabei bewaffnet waren«, sagt ein Sprecher des irakischen Regierungschefs Haider al-Abadi.

Das Bundesinnenministerium teilte indes dpa zufolge mit, die Beamten hätten sich an Bord der Maschine befunden, »um die Luftsicherheit zu gewährleisten«; es habe sich dabei nicht um einen Auslandseinsatz gehandelt. Ein formelles Auslieferungsersuchen sei noch in Vorbereitung gewesen, erklärte das Justizministerium - Aussagen, die in Bagdad ebenfalls auf Kritik stoßen: »So gehen Staaten nicht miteinander um«, sagt Zamily.

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