Negativbeispiel Griechenland

Flüchtlinge werden schon jetzt in Aufnahmezentren zusammengepfercht - zum Beispiel auf Lesbos. Die Migranten sind die Leidtragenden, meint Valeria Hänsel

  • Valeria Hänsel
  • Lesedauer: 7 Min.

Der sogenannte Asylkompromiss ist vor allem ein Triumph der Befürworter_innen von Abschottung und Ausgrenzung. In Deutschland haben die unermüdlichen Parolen von AfD und CSU den politischen Diskurs so weit nach rechts verschoben, dass die »Europäische Lösung der Flüchtlingskrise« von Angela Merkel schon fast als ein Akt der Solidarität erscheint. Denn wochenlang wurden hierzulande nur noch zwei mögliche Positionen innerhalb der Migrationspolitik diskutiert: entweder die Abschottung der nationalen oder der europäischen Außengrenzen. Nun ist auch dieser Gegensatz gefallen. Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene setzen CSU und CDU auf Lager und Zurückweisung.

Die Debatte ist getrieben von Panikmache und Populismus. Der Europäische Rat stellte am vergangenen Donnerstag selbst fest, dass die Milliardeninvestitionen in den »Schutz der europäischen Außengrenzen« bereits Wirkung zeigen: Die Zahl irregulärer Grenzübertritte in die EU sei im Vergleich zum Oktober 2015 um 95 Prozent gesunken. Dennoch bezeichnet die Mehrzahl der Europäischen Mitgliedsstaaten Migration weiterhin als zentrales Problem der Europäischen Union.

Was in Brüssel an Maßnahmen besprochen wurde, ist alles andere als solidarisch – zumindest sofern auch grundlegende Rechte von fliehenden Menschen in die Rechnung miteinbezogen werden. Auch wenn die konkrete Ausgestaltung der Beschlüsse noch aussteht, ist die gemeinsame Grundlinie deutlich: Der europäische Grenzschutz soll erneut aufgestockt werden, nordafrikanische Staaten unter anderem auch durch potenzielle Rückführungsabkommen vertieft in die Abschottungspolitik eingebunden werden und »Aufnahmezentren« möglicherweise sowohl in Anrainerstaaten als auch innerhalb Europas errichtet werden. Dies würde die Konzentration von Migrant_innen in Lagern bedeuten, wodurch innerhalb Europas laut Europäischem Rat »eine rasche und gesicherte Abfertigung (…) mit vollständiger Unterstützung durch die EU ermöglicht würde, (um) zwischen irregulären Migranten, die rückgeführt werden, und Personen, die internationalen Schutz benötigen« zu unterscheiden. Doch die Staats- und Regierungschefs haben die Rechnung bisher ohne den Wirt gemacht – Länder zu finden, die diese kolonialistisch anmutende Politik bereit sind mitzutragen, wird keine leichte Aufgabe sein, egal wie viel Geld die EU bereit ist, in die Hand zu nehmen.

Das Konzept sogenannter Transitzentren an der deutschen Grenze wirft ebenso viele Fragezeichen auf. Wie eine schnelle und rechtskonforme Abfertigung von Migrant_innen darin funktionieren soll, kann bisher niemand beantworten. Sollte sich dieses Konzept tatsächlich durchsetzen, ist zu befürchten, dass geschlossene Lager entstehen, in denen Menschen auf unbestimmte Zeit festgesetzt werden, ohne Zugang zum regulären Rechtssystem zu bekommen.

Das Europäische Hotspot-Lager Moria

Die Konzentrierung von Migrant_innen in Lagern mit dem Versprechen einer schnellen und wirksamen Abweisung ist nichts Neues. Wie die Umsetzung von europäischen Aufnahmezentren in der Praxis aussehen könnte, lässt sich bereits auf den griechischen Inseln beobachten. Das Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos ist 2015 zu einem europäischen »Hotspot«-Lager ausgebaut worden. Seit Inkrafttretens des EU-Türkei-Deals im März 2016 sollen die dort ankommenden Menschen unter Aufsicht europäischer Institutionen in »gute und schlechte Migranten« eingeteilt werden; Flüchtlinge, denen das Recht auf Asyl zugesprochen wird, und sogenannten Wirtschaftsmigranten, die abgeschoben werden sollen.

Dies ist ein langwieriger Prozess: Schon über zwei Jahre sind Menschen gezwungen, in einem andauernden Ausnahmezustand zu leben. Monatelang harren sie in provisorischen Zelten hinter Stacheldraht aus und warten auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge. Diese Situation in Kombination mit den geringen Erfolgsaussichten auf Asyl für viele der Schutzsuchenden (beispweise werden die Anträge von 97,8 Prozent der Asylsuchenden aus dem konfliktgebeutelten Pakistan abgelehnt) treibt viele der Menschen im Lager Moria zur Verzweiflung.

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos rief im Oktober 2017 einen psychosozialen Notstand aus, doch eine Verbesserung der Zustände ist nicht in Sicht: Selbstverletzungen und Selbstmordversuche sind nach wie vor an der Tagesordnung. Immer wieder kommt es zudem zu Bränden und Gewaltausbrüchen. Seit Juni 2016 haben unter diesen widrigen Bedingungen schon über 10.000 Menschen in Griechenland der »freiwilligen Rückkehr« in ihr Herkunftsland zugestimmt. Als im Winter sechs Menschen an den Folgen der Kälte und mangelnden Versorgung im Lager Moria starben, übernahmen die europäischen Institutionen keinerlei Verantwortung.

Blaupause für weitere Abschiebeabkommen

Trotz dieser fatalen Auswirkungen des EU-Türkei-Deals wird der Beschluss immer wieder als Paradebeispiel für Rücknahmeabkommen mit außereuropäischen Staaten herangezogen. Bei den Verhandlungen in Brüssel herrschte anscheinend Einigkeit darüber, dass es in Zukunft weitere Abkommen mit autoritären Ländern in Nordafrika geben soll. Dabei hat die von der Bundeskanzlerin vorangetriebene EU-Türkei-Erklärung de facto das Recht auf Asyl in der EU untergraben: Denn anstatt die Asylanträge der Geflüchteten zu prüfen, die in Griechenland ankommen, müssen die Menschen seit dem EU-Türkei-Deal zunächst nachweisen, dass die Türkei für sie kein »sicherer Drittstaat« ist. Lässt sich dies nicht belegen, können sie direkt zurück in die Türkei abgeschoben werden – ohne dass überhaupt geprüft wird, ob ein Anspruch auf Asyl besteht. Die EU tritt somit die Verantwortung, verfolgten Menschen Schutz zu gewähren, an die Türkei ab.

Danach heißt die Devise: aus den Augen, aus dem Sinn. Dass die Türkei als angeblich »sicherer Drittstaat« seine Schutzverantwortung nicht wahrnimmt, ist für die europäischen Staaten anscheinend sekundär. Denn in der Türkei existiert nicht einmal eine juristische Basis, um Menschen Asyl zu gewähren, wenn sie keinen europäischen Pass besitzen. Nur Syrer_innen können einen eingeschränkten »temporären Schutzstatus« erhalten; Menschen anderer Nationalitäten werden nach ihrer Abschiebung aus Griechenland de facto inhaftiert, bis sie entweder freiwillig in ihr Herkunftsland zurückkehren, dorthin abgeschoben oder schließlich nach zwölf Monaten freigelassen werden – ohne Papiere und damit rechtlos. Schutzsuchende werden somit nicht nur ohne Asylprüfung in ihr Herkunftsland zurückgeschickt, sondern vorher häufig vorab auch noch monatelang in Griechenland und der Türkei inhaftiert. Die Europäische Kommission hält diese »Details« in mehreren Berichten fest – in der die Diskussion um die EU-Asylpolitik werden sie jedoch geflissentlich übersehen.

Auffanglager in Nordafrika?

Bereits innerhalb der EU sterben in den Hotspot-Lagern Menschen, ohne dass europäische Institutionen oder Staaten dafür Verantwortung übernehmen. Beispielhaft für weitere Rückführungsabkommen zeigt der EU-Türkei-Deal außerdem, mit welcher Selbstverständlichkeit das grundlegende Recht auf Asyl in der EU beschnitten wird. Verantwortung wird auch dann externalisiert, wenn in Aufnahmeländern ein klarer Menschenrechtsbruch vorliegt.

Am deutlichsten führt dies der Umgang mit Libyen vor Augen. Die Zustände in den dortigen Lagern sind allseits bekannt. Folter, Misshandlungen und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Dennoch bekräftigte der Rat, dass die sogenannte Küstenwache des nordafrikanischen Landes, die bereits auf Seenotrettungs-Schiffe geschossen hat, weiter zu unterstützen sei, ebenso wie Länder der Sahelzone. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die weitaus besser für Rettungseinsätze aufgestellt sind, werden zunehmend davon abgehalten, Menschen in Sicherheit zu bringen: einen Tag nach dem EU-Gipfel etwa, als die Sea Watch 3 am Auslaufen zu einem Rettungseinsatz gehindert wurde und es zu weiteren Todesfällen kam.

Wenn grundlegende Rechte von Migrant_innen schon in den Hotspot-Zentren und vor der europäischen Küste nicht gewahrt werden, wie möchte die EU dann die Sicherheit von Fliehenden in autoritären Staaten wie Niger und Tschad gewährleisten? In Deutschland scheint diese Frage sekundär zu sein. Mit erschreckender Gedankenlosigkeit werden in politischen Debatten persönliche Eitelkeiten vor inhaltliche Auseinandersetzungen gestellt und die Diskussion rund um Migration von rechts beheizt. Ein Tabu-Bruch jagt den nächsten. Rassismus ist nicht nur wieder salon- und medienfähig geworden, sondern er zieht sich bis in die höchsten politischen Ämter. Skandale und Probleme werden dort aufgebauscht, wo keine sind, und Lösungen gefunden, die zunehmend autoritär anmuten.

Menschen nur aufgrund ihrer Herkunft in geschlossenen Lagern zu internieren, kann keine Lösung sein. Dies sollte gerade in Deutschland im Gedächtnis bleiben. Regierung, Opposition und Medien sind gefordert, sich bei der Definition von Problemen und ihren Lösungswegen nicht von Menschen unter Druck setzen zu lassen, die den Nationalsozialismus als einen »Vogelschiss« in der deutschen Geschichte betrachten.

Valeria Hänsel ist freie Journalistin, promoviert am »Labor für kritische Migrations- und Grenzregime-Forschung« an der Universität Göttingen und engagiert sich in der Gruppe Bordermonitoring.

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