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Hoffnung am Abgrund

Marc Engelhardt begründet, warum wir eine starke UNO brauchen

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.

Als dieser Tage im UN-Hauptquartier am East River von New York die 73. Vollversammlung der Vereinten Nationen ihre Arbeit aufnahm, zeigte sich Generalsekretär António Guterres zutiefst besorgt über die massiven Angriffe auf die internationale Zusammenarbeit. Der Multilateralismus werde aus vielen Richtungen attackiert - gerade jetzt, wo man ein reformiertes multilaterales System am dringendsten brauche. Guterres wollte das Treffen der 193 Mitgliedstaaten deshalb nutzen, um für die »unverzichtbaren« UN zu werben, nachdem das Vertrauen in internationale Organisationen in jüngster Zeit dermaßen erodiert worden sei.

Man möge bei Marc Engelhardt nachlesen, nicht nur im Kapitel »Eine Woche im September - wie Populisten die UN bekämpfen«. Sein Buch ist eine drängende Zustandsbeschreibung dieser »Weltgemeinschaft am Abgrund« und das hellsichtige wie leidenschaftliche Plädoyer für eine starke UNO angesichts von Kriegen, Konflikten, Vertreibungen und Hunger. Dabei schont Engelhardt die UNO nicht, etwa wenn Blauhelme leidgeprüfte Zivilisten in Stich lassen, oder wenn er die überbordende Bürokratie in der Weltorganisation anprangert, ihre mangelnde Effizienz, ihre lähmende Angst vor der Verantwortung und die von Eigeninteressen geleitete unsägliche Rolle der Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat. Oder wenn er kritisiert, wie die so dringend benötigte humanitäre Hilfe kaputt gespart wird. Und doch ist sich der Autor sicher, dass die Vereinten Nationen heute die einzige Institution sind, die der globalen Ungleichheit, wucherndem Populismus, Nationalismus und Militarismus, der Umweltzerstörung und den weltweiten Menschenrechtsverletzungen entschieden entgegentreten kann. Ihre Werte seien dabei die beste Waffe.

Der studierte Geograf, Jurist und Philosoph schlägt in seiner Analyse der aktuellen Probleme immer wieder geschickt den Bogen in die Vergangenheit, beleuchtet Ursachen für Fehlentwicklungen wie Fortschritte. Wie nebenbei macht er dabei die Institutionen und Mechanismen der UN transparent. Aber die zwölf Kapitel fügen sich nicht zu einem nüchternen Fachbuch, auch wenn ein umfangreicher Anhang faktologischen Mehrwert bietet. Dass Engelhardt ein anschaulich schreibender Reporter ist, der viele Jahre in Afrika gelebt hat, erweist sich als Segen für den Leser. Das Kapitel über die UN-Blauhelme beispielsweise liest sich wie die Blaupause für einen Politthriller.

Engelhardt sieht viel Reformbedarf. Doch Reform bedeutet ihm nicht nur die tatsächlich unabdingbare Anpassung des Sicherheitsrats, der noch immer die Machtkonstellation von 1945 widerspiegelt, an heutige Gegebenheiten. Für ihn ist die Umsetzung der Agenda 2030 mit ihren ambitionierten 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung Kern grundlegender Veränderungen, eine Art UN-Charta 2.0, das fortschrittlichste Programm, das die Weltgemeinschaft je hatte. Und er argumentiert, dass diese Welt nicht nur mehr Diplomatie als Trump braucht. Mit Verweis auf nichtstaatliche Initiativen, die unter anderem zur völkerrechtlich verbindlichen Ächtung von Landminen und Streumunition oder zuletzt zum Verbotsvertrag für Atomwaffen geführt haben, plädiert Engelhardt zugleich für mehr zivilen Ungehorsam gegen die Staaten. Widerstand aus Gewissensgründen, auf den die Vereinten Nationen auf globaler Ebene mehr denn je angewiesen sind, sei eine moralische Pflicht für jedermann. So macht das Buch auch Hoffnung im Kampf um eine friedliche, gerechte und humane Weltordnung.

Marc Engelhardt: Weltgemeinschaft am Abgrund. Warum wir eine starke UNO brauchen. Ch. Links, 272 S., br., 18 €.

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