Zirkus oder Weltparlament?
Kritik und Reformwünsche nach der jährlichen UN-Generaldebatte in New York City, die am Montag zu Ende ging
Die Ostseite von Manhattan ist - wie immer Ende September - ein aufgewühlter Ameisenhaufen. Gepanzerte Fahrzeugkolonnen, die tagelang unter dem Sirenengeheul der Polizei das UN-Gebäude ansteuern, genervte New Yorker, die auch weit entfernt davon Absperrungen und Sicherheitskontrollen umgehen müssen - und dann auch noch ein verhasster Donald Trump, der das Gelächter der Welt auf sich zieht und der liberalen Stadt am Hudson River durch seine schiere Präsenz schon wieder einen schlechten Ruf verpasst.
Die »UN Week«, wie die Einheimischen die jährlich stattfindende UN-Generaldebatte nennen, ist inzwischen vorbei. Zeit also für die Angestellten in dem hässlichen Kasten, nach der Abreise der Staats- oberhäupter und Delegationen ihre Arbeit in der laufenden 73. Generalversammlung wieder aufzunehmen.
Was ist geblieben nach der sechstägigen Generaldebatte, die nicht zu Unrecht oft als Zirkus verspottet wird und an der unter anderem 77 Staatsoberhäupter, fünf Vizepräsidenten und 44 Regierungschefs Reden hielten? Für Außenstehende nicht viel außer Eindrücken, für Teilnehmende neben Selbstvergewisserung mehr Kontakte. Denn die Generalversammlung ist keinesfalls ein »Weltparlament«, sondern bloß eine Versammlung von Diplomaten, die ihrerseits weisungsgebunden sind.
Gleichwohl gibt es zur UN keine Alternative. Im UN-Betrieb seien die Auswirkungen des Trumpismus deutlich zu spüren gewesen, sagt der aus Indien stammende marxistische Historiker und Journalist Vijay Prashad gegenüber »nd«. »Die USA werden immer isolierter und bleiben gleichzeitig wegen ihrer Macht- und Gewaltbereitschaft gefürchtet.« In der internationalen Diplomatie würde den USA wie auch anderen rechten Regimen weniger Respekt entgegengebracht.
Gerade im Sicherheitsrat will Prashad Reformen sehen, etwa durch die Erweiterung der Mitgliedschaft und die Abschaffung des Vetorechts der fünf ständigen Mitglieder. Einen deutschen wie generell europäischen Sitz lehnt er ab. »Wir brauchen nicht noch mehr Europäer, das wäre nur eine Fortschreibung der alten Kolonialmentalität.« Der Linke wünscht sich die Beteiligung aus den anderen Kontinenten, die ihre Positionen dann zentral vertreten könnten.
Auch für den Politikwissenschaftler Volker Lehmann, der seit vielen Jahren den UN-Betrieb für das New Yorker Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung analysiert, sind nationalistische Töne in zahlreichen UN-Mitgliedsstaaten und bei deren Vertretern lauter geworden. Trumps Rede müsse geklungen haben »wie Musik für diejenigen Regierungsvertreter im Publikum, die nationalistische und autokratische ›unser Land zuerst‹-Tendenzen verfolgen«. Lehmann wünscht der UN-Vollversammlung mehr Durchsetzungskraft und selbstbewussteres Vorgehen, damit »die fünf ständigen Mitglieder daran erinnert werden, dass sie nicht die Herren der Welt sind.« Eine Reform des Sicherheitsrats hält Lehmann für unrealistisch. Denn sie ist nur mit der Zustimmung der fünf ständigen Mitglieder möglich. »Sie sehen keinen Grund, weshalb sie ihre Privilegienstellung freiwillig aufgeben sollten«, so der Experte.
Als Teil einer Bundestagsdelegation des Auswärtigen Ausschusses war auch die LINKEN-Abgeordnete Heike Hänsel nach New York gereist. Das vom deutschen Außenminister Heiko Maas in Spiel gebrachte Thema »Krisenprävention« im Sicherheitsrat höre sich gut an. Es sei ein »wichtiges, bisher wenig in die Realität umgesetztes Prinzip internationaler Politik«, so Hänsel. Trotzdem seien vor allem Russland und China skeptisch, weil sie »nicht zu Unrecht eine Instrumentalisierung des UN-Sicherheitsrates für innenpolitische Einmischung befürchten«. Hänsel hob hervor, der Sicherheitsrat habe sich laut UN-Charta vorrangig mit der Gefährdung des Friedens und internationaler Sicherheit zu befassen. Es bestehe die Gefahr einer Instrumentalisierung zur Einmischung und die »Versicherheitlichung sämtlicher eher entwicklungspolitischer Themen«, die dann schnell auch eine zivil-militärische Komponente erhielten.
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