Falsche Festlegung auf Gorleben

Für Wolfgang Ehmke (Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg) ist die Bundesanstalt für Geowissenschaften für die Endlagersuche völlig ungeeignet

  • Wolfgang Ehmke
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Dass die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe bei der Endlagersuche wieder an führender Stelle mitmischen darf, stößt auf Kritik. Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, erläutert in diesem Gastbeitrag seine Vorbehalte.

Die für den Neustart der Endlagersuche gegründete Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat im August eine Kooperationsvereinbarung mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) geschlossen. Die BGR wird im Bereich der Standortauswahl mitarbeiten. Dies lässt aus Sicht von Umweltverbänden und Anti-Atom-Initiativen befürchten, dass es keinen wirklichen Kurswechsel bei der Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll gibt, denn die alten Allianzen haben weiterhin das Sagen.

Wolfgang Ehmke

Wolfgang Ehmke (geb. 1947) ist einer der prominenten Anti-Atomkraft-Aktivisten in Deutschland. Seit Jahrzehnten engagiert sich der Berufsschullehrer und Dozent für Integrationskurse als Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg vor allem im Widerstand gegen die Pläne zur Errichtung eines Endlagers in Gorleben.

Foto: dpa/Holger Hollemann

Die BGR ist einer der wichtigsten Beratungs- und Forschungsdienste der Bundesregierung, sie untersteht dem Wirtschaftsministerium. Für die Endlagersuche spielte die Bundesanstalt jahrelang eine zentrale Rolle. Sie hatte an geologischen Expertisen gearbeitet, die die Eignungshöffigkeit (berechtigte Hoffnung einer Eignung, d. Red.) des Salzstocks Gorleben-Rambow als nukleares Endlager belegen sollen. Dies gipfelte gar in einer Eignungsaussage: In einer im Geologischen Jahrbuch 2008 der BGR veröffentlichten Studie heißt es: »Trotz der noch nicht abgeschlossenen Erkundung des Erkundungsbereiches 1 kann nach den bisherigen Untersuchungen festgestellt werden, dass aus geowissenschaftlicher Sicht keine Erkenntnisse aus dem Salinar gegen die langzeitsicherheitliche Eignung des Salzstocks Gorleben für die Endlagerung radioaktiver Abfälle vorliegen.«

Auch wenn die Erkundung des Salzstocks im Jahr 2012 wegen des Neustarts der Endlagersuche durch den Bundestag beendet wurde, so bleibt diese tendenziöse Studie in der Datenbank der BGR und ist DAMIT eine schwere Hypothek. Wie soll ein »Neustart« gelingen, wenn diese Datenlage unverändert das Behördenhandeln leitet?

Auch aus anderen Gründen fiel in letzter Zeit ein besonderes Licht auf die BGR. Der WDR-Journalist Jürgen Döschner deckte gemeinsam mit anderen Berufskollegen auf, wie die BGR jahrelang von Mitteln der wirtschaftsnahen Hans-Joachim-Martini-Stiftung profitierte. Diese ist benannt nach einem langjährigen, 1969 verstorbenen Präsidenten der BGR-Vorläuferbehörde. Stiftung und BGR firmierten unter einer Adresse in Hannover. Hochrangige Vertreter der Bundesanstalt waren Geschäftsführer der Stiftung.

Den größten Unsinn verzapfte die BGR demnach im Jahr 1995. Die Klimadebatte war bereits voll entbrannt, da gab die Bundesanstalt all den Zweiflern Recht, die nicht etwa den CO2-Ausstoß aus Fabrikschloten und Auspuffrohren als hauptverantwortlich für den Klimawandel ausmachten, sondern schlichten Wasserdampf und Aktivitäten der Sonne. Damit nicht genug: Statt einer Revision dieser kruden Theorie veröffentlichte die BGR im Jahr 2000 auf Basis dieser Studie das Buch »Klimafakten« - eine Art »Heilige Schrift« all jener, die den Klimawandel oder zumindest den Anteil des Menschen daran in Frage stellen.

Döschners Recherchen ergaben: Die BGR-Klimastudie war seinerzeit von der Industrie bezahlt worden. Genauer gesagt von der weitgehend unbekannten und im Verborgenen arbeitenden gemeinnützigen Martini-Stiftung. »Was sich zunächst uneigennützig anhört, entpuppt sich bei näherem Hinsehen allerdings als ein spezieller Finanztopf, über den Unternehmen aus der Chemie-, Energie- und Rohstoffbranche über Jahre hinweg die BGR finanziell unterstützt haben«, erläutert der Journalist. In internen Dokumenten stieß er auf illustre Namen wie die Bayer AG, den Kohlekonzern Rheinbraun (später von RWE übernommen), Wintershall, BP, Kali&Salz oder die Ruhrkohle AG.

Im Jahr 2012 kritisierte die Innenrevision des Bundeswirtschaftsministeriums die Praxis der Vergabe von Preisgeldern an einzelne BGR-Wissenschaftler und bezeichnete sie zumindest für den Zeitraum bis 2003 als »angreifbar«. Die Prämien seien als »Geschenke« zu werten und hätten ohne Genehmigung der Vorgesetzten nicht angenommen werden dürfen. Der Republikanische Anwaltsverein stellte sogar Strafanzeige gegen die BGR wegen des Verdachts auf Vorteilsgewährung, Vorteilsnahme bzw. Bestechung und Bestechlichkeit. Begründung: »Die Stiftung sollte dazu dienen, junge bzw. verdiente Mitarbeiter der BGR durch maßvolle finanzielle Anreize zu belohnen.« Inzwischen wurden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover eingestellt, weil die Vorwürfe, dass industrienahe gefällige Gutachten von der Stiftung prämiert wurden, rechtsverjährt seien und weil keine jener 113 BGR-Publikationen zu Gorleben prämiert worden sei.

Die Martini-Stiftung wurde im März 2018 schließlich abgewickelt. Das Deutsche Stiftungszentrum übernahm die Geschäftsführung. Damit einher ging eine organisatorische, personelle und konzeptionelle Neuausrichtung der Stiftung - eine historische und politische Aufarbeitung der Martini-Stiftung wurde durch diese Lösung allerdings schlicht gekappt.

Blind gegenüber der eigenen Geschichte verhält sich die BGR, wenn es um den Namensgeber des Preises, Hans-Joachim Martini, geht. Der Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel (LINKE) ging der Frage nach, welche Rolle führende bundesdeutsche Geologen des BGR-Vorläufers Bundesanstalt für Bodenforschung in der Zeit des Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg spielten. Demnach belegen Originaldokumente, dass Martini 1937 in die NSDAP und 1942 in die SS eingetreten war und seine Tätigkeit als Geologe im »Reichsprotektorat Böhmen und Mähren« und in der 1939 gegründeten »Slowakischen Republik« bedeutsam vor allem auf dem Gebiet der Erlangung kriegsnotwendiger Rohstoffe war.

Ganz im Unterschied zum Auswärtigen Amt, das - viel zu spät, aber immerhin - eine international besetzte Historikerkommission beauftragte, die eigene Nazivergangenheit aufzuarbeiten, fehlt auf der Homepage der BGR bis heute jeder Hinweis auf die Verstrickung Martinis in die Gräuel der Naziherrschaft. Auf ihrer Homepage erscheint seit zwei Jahren lediglich folgender Vermerk: »Die systematische geschichtliche Untersuchung und wissenschaftliche Aufarbeitung der BGR und ihrer Vorläufereinrichtungen steht noch aus. Der Untersuchung kommt aus Sicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sowie der BGR eine große Bedeutung zu.«

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